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Lügenkampagnen, die das Fürchten lehren

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
4. August 2016

Ungarns Regierungschef bereitet das Referendum über die Aufnahme von Flüchtlingen im Herbst vor. Er tut das mit einer Lügenkampagne auf Plakaten. Es geht dabei nicht um Fakten, es geht nur um Furcht, meint Barbara Wesel.

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Ungarn Anti-Immigrations Plakate der Regierung
"Wenn du nach Ungarn kommst, darfst du den Ungarn keine Arbeitsplätze wegnehmen", steht hier in ungarischer SpracheBild: Getty Images/AFP/A. Kisbenedek

Das sogenannte Mutterland der Demokratie hat vorgemacht wie es geht: Die Brexit-Fraktion in Großbritannien hat das Referendum über den EU-Ausstieg mit einer Lügenkampagne gewonnen. Die Behauptungen über Europa, die da verbreitet wurden, waren entweder einfach falsch oder mindestens grob verzerrt. Der frisch gebackene britische Außenminister Boris Johnson ist entscheidend mitverantwortlich für diesen Wählerbetrug. Man sollte ihn das nicht vergessen lassen.

Viktor Orban in Ungarn aber hat von den Brexiteers gelernt - oder wusste er noch aus früherer Erfahrung, wie es geht? Jedenfalls ließ der starke Mann der Magyaren jetzt landesweit Plakate mit falschen Behauptungen kleben, damit seine Bürger demnächst unbedingt gegen eine EU-weite Umverteilung von Flüchtlingen stimmen. Die Attentäter von Paris waren Immigranten, heißt es da. Oder: Die EU will eine Stadt illegaler Migranten in Ungarn ansiedeln. Und so weiter. Es ist einfach eine Lügenkampagne.

Wiederkehr der Propaganda

Als Osteuropa noch unter kommunistischer Herrschaft stand, wurde die damals gängige Propaganda über Ernteerfolge, Traktorproduktion und 98-prozentige Wahlergebnisse allgemein für lächerlich gehalten. Die Annahme im Westen war immer, dass sowieso niemand diese Märchen glauben würde. Sie gehörten zu einer Art Selbstvergewisserung eines Systems, das letztlich dem Untergang geweiht war. Vielleicht aber lagen wir damit ganz falsch. Denn wir erleben gerade einen weltweiten Aufstieg der schamlosen und unverstellten Propaganda: Lügen ist erlaubt, ja sogar notwendig im politischen Spiel. Und die Falschheiten werden mit religiöser Inbrunst wiederholt.

Ein Blick in die USA und die Kampagne von Donald Trump zeigt das ganze Ausmaß dieser moralischen Wende. Der Präsidentschaftskandidat der Partei, die einmal die Republikaner waren, hat die Wahrheit als Konzept einfach abgeschafft, für obsolet erklärt. Seine Behauptungen über Migration, die Wirtschaft, Krankenversicherungen, öffentliche Ausgaben, was auch immer, sind sämtlich frei erfunden. Trump steht wie kein Zweiter für das post-faktische Zeitalter, in dem beliebige Behauptungen nur Emotionen und Ressentiments des Publikums bedienen sollen. Ähnlichkeiten mit der Realität würden dabei nur stören.

Barbara Wesel, DW-Korrespondentin in Brüssel /(Foto: DW)
Barbara Wesel ist DW-Korrespondentin in Brüssel

Zerstörung von Vertrauen und Vernunft

In der europäischen Politik der vergangenen Jahrzehnte gab es einen gewissen Konsens, dass in der Politik zwar allerhand Heuchler unterwegs waren, dass ein bisschen geschummelt wurde und im Wahlkampf mehr erlaubt war als sonst. Aber wer sich bei offenen Lügen ertappen ließ, galt doch als diskreditiert. Vorbei. Bei denen, die noch nach alten Regeln spielen, muss die Frustration über die Erfolge der Blender wachsen. Und die unverschämten Populisten in Europa - von Wilders, über Le Pen bis Orban - weiten die Grenzen der Propaganda immer mehr aus. In Brüssel mochte die Europäische Kommission die jüngste Kampagne in Ungarn übrigens nicht kommentieren, so wie sie auch zu den Brexit-Lügen in Großbritannien keine Stellung nahm. Aber reicht Schweigen hier als Antwort aus? Sollte nicht jemand auf der europäischen Bühne laut widersprechen, wenn die gemeinsame Politik verzerrt und für einen Propagandafeldzug missbraucht wird?

Was durch die neuerdings gewohnheitsmäßige politische Lüge verloren geht, ist nicht nur das Vertrauen in Politik und ihre Akteure. Auch die Vernunft kommt dabei abhanden, die nötig ist, um Kompromisse zu schließen und einen Interessenausgleich zu finden. Die Vernunft, die gebietet Kleinigkeiten nicht aufzublasen und angemessene Antworten auf große Probleme zu suchen. Stattdessen wird nur Hysterie gefördert, die Hass und Gewalt hervorruft und die immer mehr sektiererische Züge trägt: Es geht nicht mehr um Fakten - es geht nur noch um das Erzeugen von Furcht. Und dahinter stehen Figuren, die den absoluten Willen zur Macht haben. Es steht schon alles in den Geschichtsbüchern.

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