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Politik

Lasst die Corona-Verharmloser demonstrieren!

26. August 2020

Die Stadt Berlin hat die für Samstag geplante Großdemonstration von "Querdenken-711" verboten. Rechtsstaatlich ist die Entscheidung völlig in Ordnung. Marcel Fürstenau hält sie trotzdem für falsch.

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Deutschland Demonstration gegen Corona-Maßnahmen in Berlin
"Absetzen der Maske und der Regierung" forderten die Demonstranten am 1. August in BerlinBild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Die Meisten trugen keine Masken, sie liefen oder standen dicht gedrängt nebeneinander. Der massive Verstoß gegen die Corona-bedingten Hygiene- und Abstandsregeln am 1. August in Berlin war offensichtlich. Ein Verstoß, den das Protestvölkchen teilweise genussvoll zelebrieren konnte, weil ihm der Staat ein Grundrecht gewährte: Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Wer diese für eine lebendige und streitbare Demokratie so wichtige Freiheit in Anspruch nimmt, muss sich selbstverständlich an Regeln halten.

Verstöße gegen das Versammlungsrecht können und sollten prinzipiell geahndet werden. Genau das passierte am 1. August: Weil alle Appelle, sich an die Regeln zu halten, auf taube Ohren stießen, wurde die Abschlusskundgebung von der Polizei aufgelöst. Und der Versammlungsleiter erhielt eine Strafanzeige. Manchen Gegnern des Aufmarsches war diese Reaktion des Staates zu zögerlich, zu zahm. Am liebsten wäre es ihnen gewesen, wenn die Demonstration von Anfang an verboten worden wäre.

Ein schwaches Argument: Die Corona-Verstöße vom 1. August

Diesen Gefallen taten ihnen die Berliner Behörden dieses Mal: Die für kommenden Samstag geplante zweite Demonstration von "Querdenken-711" in der deutschen Hauptstadt darf nicht stattfinden. Maßgeblich begründet wird das Verbot damit, "dass es bei dem zu erwartenden Kreis der Teilnehmenden zu Verstößen gegen die geltende Infektionsschutzverordnung kommen wird". So steht es in der Pressemitteilung des Berliner Innensenators Andreas Geisel. Als Indiz für die befürchteten Regelbrüche dient die aus dem Ruder gelaufene Demonstration vom 1. August.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
DW-Redakteur Marcel FürstenauBild: DW

Rechtlich handelt der Sozialdemokrat einwandfrei und inhaltlich hat er gute Argumente auf seiner Seite. Natürlich haben die ignoranten Demonstranten vor knapp vier Wochen nicht nur sich selbst gefährdet, sondern auch Unbeteiligte. Denn das Coronavirus ist weder harmlos noch mit absoluter Sicherheit eingrenzbar. Und doch wäre es klüger gewesen, auch die nächste Demonstration zu erlauben. Mit der glasklaren Auflage und Ansage: Neuerliche massenhafte Verstöße gegen Maskenpflicht und Abstandsregeln führen zur sofortigen Auflösung der Veranstaltung!

Wasser auf die Mühlen aller Corona-Verharmloser

Damit hätte man gleich zwei Botschaften senden können - an alle Verharmloser der Corona-Pandemie, aber auch an den vernünftigen Rest der Gesellschaft. Botschaft 1: "Wir geben Euch eine zweite Chance, friedlich und korrekt zu demonstrieren." Botschaft 2: "Wir greifen schnell und kompromisslos durch, wenn ihr Regeln missachtet." So hätte ein Dialog aussehen können zwischen zwei Lagern, die sich wenig bis gar nichts zu sagen haben. Jetzt aber sind die Fronten maximal verhärtet.

Das Verbot ist unnötiges Wasser auf die Mühlen von "Querdenken-711" und aller anderen, die diesen Querulanten auf den Leim gehen. Der Staat hat ihnen ohne Not ein Scheinargument geliefert, auf das sie insgeheim sogar gehofft haben dürften und das sie propagandistisch ausschlachten werden: "Die da oben haben sich gegen uns verschworen und vor lauter Angst vor unserem Protest verbieten sie uns nun."

Furcht vor Rechtsextremisten darf kein Verbotsgrund sein

Berlins Innensenator mag noch so plausible und gut gemeinte Gründe dafür haben, die Entscheidung seiner Behörde zu loben. Trotzdem klingt es ängstlich und wenig souverän, wie er das Demo-Verbot begründet: "Das ist keine Entscheidung gegen die Versammlungsfreiheit, sondern eine Entscheidung für den Infektionsschutz." Und mit Verweis auf wieder steigende Infektionszahlen: "Wir müssen deshalb zwischen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit und dem der Unversehrtheit des Lebens abwägen. Wir haben uns für das Leben entschieden."

Starker Tobak ist das. Wer so dramatische Sätze wählt, hätte schon längst mit der gleichen Entschlossenheit gegen die täglich tausendfachen Verstöße gegen Corona-Regeln in Bahnen, Bussen und vor allem in Bars und Restaurants in der Millionenstadt Berlin vorgehen müssen. Doch außer Ermahnungen passiert seit Monaten so gut wie nichts. Letztlich darf es keine Frage der Gesinnung sein, wenn es um Bußgelder, Strafandrohung oder Verbote geht. Dieser Eindruck aber drängt sich auf, weil der Berliner Innensenator schon seit Tagen vor einer Unterwanderung des nun untersagten Corona-Protests durch Rechtspopulisten und Extremisten warnte. Vor diesem Hintergrund wirkt dieses Verbot wie eines mit Ansage.

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Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland