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Mehr als eine Revanche

Joscha Weber Bonn 9577
Joscha Weber
21. August 2016

Die brasilianische Fußballseele atmet auf: Mit dem Gold erfüllt die Selecao der Nation nicht nur den größten Olympia-Wunsch. Sie schafft es auch, ein nationales Trauma ein Stück vergessen zu machen, meint Joscha Weber.

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Bild: Reuters/M. Sezer

Das Schrecklichste waren die Gesichter. Wer sich an jenem 8. Juli 2014 im Estádio Mineirão von Belo Horizonte umblickte, sah Entsetzen, Fassungslosigkeit, Wut und Trauer. Hände bedeckten Augen, die den Anblick nicht mehr ertragen konnten, Tränen kullerten tausendfach. Das 1:7 im WM-Halbfinale zwischen Brasilien und Deutschland war aus nächster Nähe betrachtet ein kollektiver Aufschrei vor Schmerz. Jener Schmerz ließ das Land, das den Fußball liebt wie kein zweites, seitdem nicht mehr los. "Die Schande", sagen viele Brasilianer, wenn sie an dieses in der Fußballgeschichte wohl einmaliges Spiel zurückdenken.

Die Erlösung einer kriselnden Nation

Nichts kann das Geschehene Ungeschehen machen. Die Heim-WM 2014 auf eine solche Art zu verlieren, war die brutalstmögliche Erfahrung für die Fußballnation Brasilien. Und das olympische Turnier ist mit der überwiegenden Beschränkung auf Nachwuchsfußballer keine echte Revanche. Aber hier bei Olympia bot sich Brasilien die Chance auf ein Stück Wiedergutmachung. Wie bei der Weltmeisterschaft verlangten die Fans auch im olympischen Fußballturnier nichts weniger als Gold. Brasilien marschierte, getrieben von einer großen Euphorie und dem unbedingten Willen, es diesmal besser zu machen, durch das Turnier. Dass im Finale dann Deutschland wartete war das I-Tüpfelchen der Dramaturgie.

Was sich im Maracana schließlich abspielte, ging an die Nerven: Führung Brasilien, Ausgleich Deutschland, Verlängerung, Elfmeterschießen. In jener Fußballlotterie machte ausgerechnet der tragische Held der WM den Unterschied: Superstar Neymar, der das entscheidende Halbfinale gegen Deutschland verletzt verpasste, verwandelte den letzten Strafstoß und erlöste eine Nation, die sich diesen Erfolg verdient hat.

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DW-Sportredakteur Joscha Weber

Brasilien vergisst seinen chronischen Schmerz

Nach der Schande von Belo Horizonte folgten nämlich weitere Tiefpunkte: Korruption bis hinauf in höchste Ebenen, politische Erdbeben, Einbruch der Wirtschaft, Zika-Krise, Finanzkollaps in Rio. Der ersehnte Sieg im Fußballfinale der Olympischen Spiele kann all diese Probleme freilich nicht lösen. Aber er gibt einem emotional angeschlagenen Volk das Selbstbewusstsein zurück - ein Effekt, den man psychologisch nicht unterschätzen sollte. Die schon chronisch gewordenen Schmerzen des 1:7 wurden an diesem Abend ein Stück weit geheilt.