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Merkel als Teil des Problems

28. Oktober 2015

Die Bundeskanzlerin galt lange als die große Autorität in Europa. Doch mit ihrer Flüchtlingspolitik ist sie zur Belastung geworden, meint Christoph Hasselbach.

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Merkel vor Europakarte (Foto: DW/B.Riegert)
Bild: DW/B.Riegert

Gibt es in der EU eigentlich noch ein anderes Thema als das der Flüchtlinge? Die Staatsschuldenkrise hatte die EU jahrelang in Atem gehalten, angeblich stand damit das Schicksal Europas auf dem Spiel. Jüngste Berichte, die Gläubiger verzögerten die Auszahlung weiterer Kredite an Griechenland, weil das Land die Reformen verschleppe, zeigen, dass das Thema nach wie vor auf der Tagesordnung steht. Die Erinnerung an Griechenland zeigt aber noch etwas anderes: Innerhalb weniger Wochen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel dramatisch an Ansehen in Europa verloren.

In der Schuldenkrise hatte sich Merkel große Autorität erarbeitet. Sie stand für die Einhaltung von Regeln, für Solidität, aber auch für das Bemühen um europäischen Zusammenhalt. Dafür war sie notfalls zu Kompromissen bereit. Nicht jedem schmeckte ihre Stabilitätspolitik. Aber selbst viele Kritiker sahen ein, dass "Muttis" Medizin gut war.

Andere in Haftung genommen

Das alles galt bis zu diesem Spätsommer, als Merkel auf den einsetzenden Flüchtlingsstrom mit den zwei fatalen Sätzen "Es gibt keine Obergrenze" und "Wir schaffen das" reagierte. An beiden hält sie bis heute fest. Dazu kamen Selfies mit Flüchtlingen und der einsam getroffene Beschluss, sich nicht länger an die Dublin-Regeln zu halten. Zäune gegen Flüchtlinge sind in ihren Augen nicht nur nutzlos, sondern auch verwerflich. Den Kontrollverlust des Staates über seine Grenzen nahm sie achselzuckend hin. Und als wäre das alles nicht genug, stellte sie sich vor die übrigen Europäer und erklärte ihre persönliche Sicht der Dinge zur moralisch allein richtigen.

Christoph Hasselbach (Foto: DW/M.Müller)
DW-Redakteur Christoph HasselbachBild: DW/M.Müller

Mit anderen Worten: Die europäischen Partner sollen Deutschland helfen, die Folgen einer Politik aufzufangen, für die Merkel eine deutliche Mitverantwortung trägt. Zwar behauptet niemand, Merkel sei für die Fluchtbewegungen an sich verantwortlich. Aber den Sog nach Europa hat sie in jedem Fall deutlich verstärkt und damit auch andere europäische Länder gegen deren Willen in Haftung genommen.

Deutsche Überheblichkeit

Da war sie wieder, die deutsche Überheblichkeit - und sei es auch im Kampf für ein hehres Ziel. Seitdem schlägt Merkel bei Treffen mit ihren europäischen Kollegen eisige Ablehnung entgegen. Die wenigen Unterstützer, wie Frankreichs Präsident Hollande, leisten nur noch Lippenbekenntnisse. Der ungarische Ministerpräsident Orban erklärt den Flüchtlingsstrom sogar offen zum "deutschen Problem" und schottet sein Land ab. Nach dem Rechtsruck in Polen ist auch von dort mit keinerlei Entgegenkommen mehr zu rechnen. Und sogar der schwedische Regierungschef Löfven gerät innenpolitisch unter Druck, die Grenzen zu schließen. Währenddessen ist von europäischer Gemeinsamkeit nichts mehr übrig. Jeder versucht, sich selbst zu retten, notfalls auf Kosten des anderen.

Die Bundeskanzlerin kann sich moralisch noch so sehr im Recht fühlen - sie ist in der Flüchtlingspolitik in Europa isoliert. In der Finanzpolitik konnte sie ihre Positionen weitgehend durchsetzen, weil eine Mehrheit in Europa bei allen Schmerzen an diese Politik glaubte. Doch mit ihren Vorstellungen einer grenzenlosen Aufnahme hat sie inzwischen nicht nur die Mehrheit in Deutschland gegen sich, sondern schon lange eine große Mehrheit in Europa. Dagegen kann man letztlich keine Politik machen. Merkels persönliche Tragik ist, dass sie dabei ist, ihre große Autorität wieder zu verspielen, die sie sich in Europa aufgebaut hatte.

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Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik