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Politik

Merkel - Verunsicherte Versicherung

3. Januar 2018

Nach einem kurzen Winterurlaub startet Angela Merkel in die Monate der Entscheidungen. Wird sie weiterregieren? Mit wem? Und warum? Diese Entscheidung liegt nicht mehr in ihrer Hand, meint Christoph Strack.

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Deutschland Berlin - Angela Merkel und Martin Schulz
Bild: Reuters/A. Schmidt

Am Montagmorgen, direkt nach der ersten Woche des Jahres, kommen wieder gekrönte Häupter zuhauf ins Kanzleramt. Über 100 Jungen und Mädchen machen als Dreikönige auf das Schicksal notleidender Altersgenossen in aller Welt aufmerksam. Bunte Gewänder, Kinder-Gesang, aufgeregte Stimmung, eine Botschaft der Mitmenschlichkeit - seit einem Vierteljahrhundert ein Pflichttermin für Kanzler oder Kanzlerin. Und PR.

Aber in diesem Jahr ist auch der Aufgalopp der Könige bedeutungsschwer. Hausherrin Angela Merkel, die nur geschäftsführend das Kanzleramt innehat, ist auf PR, Unterstützung und womöglich auch Segen angewiesen. Denn die Sternsinger ziehen ins Kanzleramt just in jenen Tagen der Vorentscheidung darüber, ob die taumelnde SPD noch einmal mit der geschwächten Union die Regierung führen will.

Pathos und Versprechungen

Merkel geht in ihr 13. Jahr im Kanzleramt. Dreimal bislang äußerte sie sich bald nach ihrer Vereidigung mit einer Regierungserklärung im Bundestag richtungsweisend zum politischen Handeln. 2005 sprach sie - bei ihrer ersten großen Koalition - von einer "Koalition der neuen Möglichkeiten", verhieß neue Gründerjahre der Bundesrepublik und mahnte: "Lasst uns mehr Freiheit wagen!"

Ein Pathos, das 2009 - in Zeiten der Finanz- und Eurokrise - längst verflogen war. "Wir dürfen die Augen nicht vor der Realität verschließen", sagte sie da als Spitzenfrau einer schwarz-gelben Bundesregierung. Deutschland befinde sich "in der schwersten Rezession seiner Geschichte". Sie wolle dem Land "eine gute Zukunft sichern". Und 2013? Zur zweiten von ihr geführten großen Koalition war die erste Regierungserklärung - der Brüsseler Sitzungskalender mit einem anstehenden Treffen des Europäischen Rats wollte es so - eine Regierungserklärung zu Europa: "Deutschland wird auf Dauer nur stark sein, wenn auch Europa stark ist." Das Land habe "Verantwortung für unseren ganzen Kontinent".

Strack Christoph Kommentarbild App
Bild: DW

Das Pathos, das Visionäre, vielleicht auch Übermütige des Aufbruchs von 2005 war bald verschwunden. Sicher, man mag das erklären mit der globalen Finanzkrise. Aber dann hätte man dem eine eigene große Erzählung, ein Pathos gegen das Chaos der Banken entgegenstellen können. Wer auf den Bundestags-Wahlkampf der CDU 2017 schaute, bekam das zu hören: "Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben". Da kann keiner dagegen sein. Aber es klingt nicht (auch nicht im Hashtag #FeDidwgugl) nach Wahl-Kampf, es klingt eher nach Werbung einer Versicherung.

Eine Frage der Führung

Merkel - die große Versicherin der großen Versicherung Deutschland GmbH. Das passt häufig zu ihrem politischen Handeln. Sei es in der globalen Finanzkrise (als sie den Kleinsparern Garantien gab) oder nach Fukushima (als sie den angsterprobten Deutschen Beruhigung vermitteln wollte). Aber die große Versicherung ist längst verunsichert. Dieses Land, und übrigens auch Merkels Partei, die CDU, braucht mehr als Worte der Versicherung. In Zeiten der Populisten weltweit, in Zeiten der Populismen auch im Kleinen, in Zeiten der Suche nach Identität und gesellschaftlichem Zusammenhalt geht es um Führungswillen und -anspruch. Emmanuel Macron versucht das seit einer Weile in Frankreich, einem Land, das wirtschaftlich weit schlechter da steht als Deutschland. Die Aufmerksamkeit, die er dafür international erfährt, zeigt, wie groß das Defizit an Führungsmut ist.

Für Deutschland, das anders als Frankreich wirtschaftlich blendend dasteht, geht es um das Selbstverständnis einer offenen Gesellschaft und ihrer Grenzen. Für Merkel geht es in diesen kommenden Monaten um politisches Überleben. Sollte es keine große Koalition geben, bevorzugt sie Neuwahlen. Und man darf durchaus bezweifeln, dass sie die CDU dann erneut als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf führt. Aber das Urteil über Merkels Größe als Regierungs- und Parteichefin wird letztlich auch davon bestimmt, ob sie ihre Partei auf die Zeit nach Merkel vorbereitet hat. Ob diese Zeit erst 2021 oder schon 2018 beginnt. 

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