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Mörderische Gottesstaaten

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
4. Januar 2016

Nach der Hinrichtung des schiitischen Predigers Al-Nimr steigen die Spannungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Beiden Staaten kommt der Konflikt gelegen, meint Kersten Knipp. Denn beide machen eine zynische Politik.

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Proteste vor der saudiarabischen Botschaft in Teheran (Foto: Mehr)
Bild: Mehr

Eines kann man unterstellen: Der Zeitpunkt der Hinrichtungen ist kein Zufall. Der saudische Staat weiß sehr wohl, was er tut. Und ebenso, wann er etwas tut. So naiv ist in Riad niemand, als dass man die Konsequenzen der Massenhinrichtungen nicht im Voraus bedacht hätte. Das aber heißt: Der Vollzug der Todesstrafe stellt auch - wenn nicht sogar in erster Linie - eine politische Botschaft dar. Und die besagt: Niemand wage es, sich mit uns anzulegen. Weder innerhalb noch außerhalb Saudi Arabiens. Wer auf die Idee kommt, gegen uns anzutreten, muss mit Konsequenzen rechnen.

Innen- und außenpolitisches Signal

Diese Botschaft richtet sich zunächst an die Opposition im eigenen Land. Für sie sind die Hinrichtungen eine Warnung, die kaum schärfer hätte ausfallen können. Derzeit fährt die saudische Justiz einen harten Kurs gegen Opponenten sämtlicher Couleur. Mit dem Blogger Raif Badawi stand ein Liberaler vor Gericht; mit dem Dichter Ashraf Fayad ein Repräsentant der kulturellen Moderne; und mit dem nun getöteten Nimr al-Nimr einer der höchsten Repräsentanten des saudischen Schiitentums. Auch al-Nimrs Neffe Ali al-Nimr ist wegen Protesten gegen das Regime zum Tode verurteilt worden; zum Zeitpunkt dieses "Vergehens" war er gerade 16 Jahre alt. Diese prominenten Fälle repräsentieren beispielhaft die Bedrohungen, denen sich das Königshaus ausgesetzt sieht. Auf diese reagiert es nun offenbar ganz nach Art des syrischen Schlächters Baschar al-Assad.

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DW-Autor Kersten Knipp

Außenpolitisch sollen die Hinrichtungen offenbar ein Signal von Stärke und Entschlossenheit senden. Seit dem partiellen Rückzug der Schutzmacht USA versucht sich Saudi-Arabien unter dem gerade 30 Jahre alten Verteidigungsminister und stellvertretendem Kronprinzen Mohammed Bin Salman als starke Macht in der Region zu präsentieren. Seit Monaten fliegt das saudische Militär an der Spitze einer überwiegend arabischen Allianz Angriffe auf das Nachbarland Jemen, das längst zum Schauplatz eines Stellvertreterkrieges mit dem schiitischen Iran geworden ist. Die knapp 3000 toten Zivilisten und rund zweieinhalb Millionen Binnenflüchtlinge sind dem Regime offenbar gleichgültig.

Vor Kurzem hat es sich an die Spitze eines weiteren Bündnisses gesetzt: einer - man ist angesichts der Hinrichtungen versucht, den Begriff in Anführungsstriche zu setzen - "Antiterror-Allianz" in Syrien. Die durch die Hinrichtungen bewusst provozierten Tumulte im Iran, aber auch im Irak und auf Seiten der vom Iran unterstützten schiitischen Hisbollah sollen ganz offenbar dazu dienen, die Reihen zwischen Saudi-Arabiens sunnitischen Bündnispartnern auch im Hinblick auf Syrien zu schließen. Der Konflikt wird konfessionalisiert und damit zusätzlich angeheizt. So gesehen sind die Hinrichtungen weit mehr als nur der Vollzug ohnehin fragwürdiger Urteile. Sie sind strategisches Kalkül. Und die Justiz wird zur politischen Dienstleistung.

Fragwürdige Reaktion in Teheran

Freilich sind auch die Proteste im Iran mehr als fragwürdig. Der Umstand, dass die iranische Führung die Erstürmung und Verwüstung der saudischen Botschaft zulässt, zeigt, dass auch das Mullah-Regime in Teheran an einer Beruhigung des Konflikts kein Interesse hat. Auch dieses setzt politisches Kalkül über internationales Recht. Das hätte nämlich erfordert, den Schutz der Botschaft unbedingt zu gewährleisten. Stattdessen erklärt der Iran sich anmaßend zur "Schutzmacht" der Schiiten - und zwar auch von schiitischen Staatsbürgern anderer Länder. Auch das ist Eskalation und geht über bloßen Protest weit hinaus. Unglaubwürdig ist die Reaktion auch darum, weil der Iran nach China die weltweit meisten Todesurteile vollstreckt - direkt gefolgt im Übrigen von Saudi-Arabien.

"Partner" des Westens?

Die Hinrichtungen ebenso wie die Reaktion darauf zeigen einmal mehr, wie die beiden Regime beschaffen sind, die im Nahen Osten den Ton angeben. Guter Wille lässt sich auf beiden Seiten nicht ausmachen. Für die Zivilisten in Syrien und im Jemen dürfte die jüngste Eskalation weitere tödliche Konsequenzen haben. Und für die westlichen Regierungen wird einmal mehr die Frage aufgeworfen, ob sie die beiden verfeindeten Regimes am Golf wirklich "Partner" nennen möchten.

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika