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Keinen neuen Hadrianswall!

Christoph Hasselbach11. September 2014

Das lange Undenkbare wird denkbar: Schottland könnte ein unabhängiger Staat werden. Doch Europa kann keine neuen Grenzen brauchen, meint Christoph Hasselbach.

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Steinmauer Foto: picture-alliance/dpa/dpaweb/S. Görlich
Reste des ehemaligen Grenzwalls des Römischen ReichesBild: picture-alliance/dpa/dpaweb/S. Görlich

Jemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten. Jedenfalls im übertragenen Sinne. Der schottische Nationalistenführer Alex Salmond will natürlich nicht den alten Hadrianswall zwischen Schottland und England zur undurchdringlichen Grenze ausbauen, aber einen eigenen Staat will er, und der hätte selbstverständlich wieder eine richtige Staatsgrenze zu England. Egal, wie durchlässig diese Grenze wäre, sie würde trennen, mental und im praktischen Alltag, was seit mehr als 300 Jahren zusammenhängt.

Und Schottland wäre möglicherweise nur der Anfang. Bekommen die Schotten ihren eigenen Staat, warum sollte Spanien den Katalanen oder den Basken die Unabhängigkeit verwehren können? Warum sollte sich nicht Flandern aus Belgien lösen - ein besonders schwieriger Fall, weil Flandern der volkreichere und wirtschaftlich stärkere Teil ist und Wallonien allein kaum lebensfähig wäre. Was also würde mit Wallonien passieren? Man kann den Gedanken weiterspinnen: Kommen irgendwann die Bayern auf die Idee, den Begriff Freistaat ganz wörtlich zu nehmen, einschließlich PKW-Maut für die Preußen? Freiheit für Südtirol, für die Bretagne?

Eigentlich geht es ums schnöde Geld

Der Vorwurf der Unterdrückung war in vielen der genannten Gebiete vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten berechtigt, heute nicht mehr. Auch kulturell legt London den Schotten heute keine Steine in den Weg. Sie haben sogar längst wieder ihr eigenes Parlament. Eine ähnliche Eigenständigkeit hat auch Katalonien bereits. Man kann die regionalen Entscheidungskompetenzen noch weiter erhöhen, wie es Premierminister David Cameron, wenn auch reichlich spät, zugestanden hat. Aber man braucht heutzutage in der EU keinen eigenen Staat mehr, um sich als Gemeinschaft innerhalb einer Gesamtnation behaupten zu können.

Christoph Hasselbach
DW-Redakteur Christoph HasselbachBild: DW/M.Müller

Andererseits hat die Finanzkrise gezeigt: Wenn es hart auf hart kommt, bildet zunächst einmal der Nationalstaat den Referenzrahmen, nicht die EU. Von britischer Hilfe hat übrigens auch die Royal Bank of Scotland profitiert. Da bleibt die Sache mit dem Geld, das angeblich in unzumutbarer Weise von Schottland Richtung London fließt. Und das scheint das Entscheidende zu sein, in Schottland ebenso wie in Katalonien oder Flandern: Eine relativ wohlhabende Region will ihren Reichtum für sich behalten, statt ihn von einer Zentrale für alle verteilen zu lassen. Doch kann man darauf den Anspruch auf einen eigenen Staat aufbauen?

Viele offene Fragen

Das wirtschaftliche Argument steht ohnehin auf wackeligen Beinen. Denn wenn sich Schottland vom Rest des Vereinigten Königreichs trennte, würden beide geschwächt. Zweimal diplomatischer Dienst, zweimal Streitkräfte, zweimal Verwaltung auf sämtlichen Ebenen kosten einfach mehr, als wenn man, wie bisher, alles nur einmal hat. Und eine Unabhängigkeit würde eine Vielzahl von Einzelfragen nach sich ziehen, die alle noch nicht beantwortet sind.

Darf man die britische Staatsbürgerschaft behalten, wenn man in Schottland seinen Wohnsitz hat? Wie teilt man gemeinsame Unternehmen, wie die Staatsschulden auf? Welche Währung würde der neue Staat haben? (Salmond will das Pfund behalten, London schließt das aus.) Würde ein unabhängiges Schottland ohne weiteres der NATO und der EU beitreten können? (Der bisherige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat gesagt, Schottland müsse dann einen normalen Beitrittsprozess durchlaufen; und ein einziger Mitgliedsstaat, zum Beispiel Großbritannien oder Spanien, könnte einen Beitritt per Veto verhindern.)

Ein kleiner Binnenmarkt

Auch wenn man sicher mit gutem Willen alle Einzelfragen lösen könnte: Bereits die Unsicherheit belastet das Pfund und die gesamtbritische Wirtschaft schon heute. Bei einem "Ja" zur Unabhängigkeit gäbe es eine monate-, wenn nicht jahrelange Übergangsphase, die erst recht starke Turbulenzen mit sich brächte. Wozu das alles? Noch einmal zurück zur EU: Ein Vorteil, den die Europäische Union selbst in den Augen der euroskeptischsten Briten (Engländer, Schotten, Waliser) hat, ist der Binnenmarkt, die Freiheit für Personen, Unternehmen und Kapital, sich grenzüberschreitend frei in der EU zu bewegen.

Viel besser als der europäische Binnenmarkt funktionieren bereits die kleinen nationalen Binnenmärkte, zum Beispiel der britische zwischen Schottland und dem Rest des Vereinigten Königreichs. Diese Freiheit mit einer neuen Grenze zu behindern, wäre ein Schritt zurück in die Kleinstaaterei. Europa braucht keine neuen Grenzen. Liebe Schotten, der Hadrianswall ist fast 2000 Jahre alt und gehört zum Weltkulturerbe. Es reicht, wenn er Touristenattraktion bleibt.