Der NSU 1.0 - das waren zehn Morde von Rechtsradikalen an Nachbarn mit meist ausländischen Wurzeln. Das waren 13 Jahre Totalversagen der deutschen Ermittlungsbehörden. Immerhin: Am Ende eines mehrjährigen Mammutprozesses lautete das Urteil "Lebenslänglich" für Beate Zschäpe, das einzig noch lebende Mitglied des mörderischen Trios. In diesem Prozess hatte die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz eine der Opfer-Familien vertreten. Sie verteidigte auch Sami A., den mutmaßlichen Ex-Leibwächter von Osama bin Laden.
Das Faxgerät, von dem im vergangenen Sommer die Drohung an Basay-Yildiz geschickt wurde, ihre kleine Tochter zu "schlachten", steht offenbar im 1. Polizeirevier der Stadt Frankfurt am Main. Jetzt wird gegen mindestens fünf Polizeibeamte in Frankfurt ermittelt. Sie sollen in einer geschlossenen Chatgruppe rechtsextremistisches Material ausgetauscht haben.
Erst der Beginn von Ermittlungen
Es deutet sich an, dass dies wohl nur der Beginn von Ermittlungen ist, die weite Kreise ziehen dürften. Andererseits wehrt sich Hessens Innenminister zu Recht dagegen, dass jetzt 14.000 Polizeibeamte des Bundeslandes unter Generalverdacht gestellt werden. Aus dem Osten Deutschlands, vor allem aus Sachsen, kennt man das ja schon.
Die Welle der politischen Empörung ist erwartungsgemäß groß. "Erschreckend" kommentiert Justizministerin Katarina Barley. Ja, es ist erschreckend, dass sich solche Strukturen auf einer Polizeiwache entwickeln können. Und das soll keiner gemerkt haben? Waren da ein paar Kollegen "halt ein bisschen rechts"? "Besorgte Bürger" in Uniform sozusagen?
"NSU 2.0" haben sich die Beamten offenbar selbst genannt. Der Unterschied zum NSU 1.0 hätte sein müssen, dass eine Behörde aus sich heraus, ohne von außen dazu gedrängt zu werden, rechtsgerichtete Strukturen hätte erkennen und entschlossen dagegen vorgehen müssen. Um das Opfer, aber eben auch die Kollegen zu schützen, die mit Leib und Leben jeden Tag für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat einstehen.
Keine wirkliche Überraschung
Wer den NSU-Prozess oder einen der entsprechenden Untersuchungsausschüsse im Bundestag von nahem erlebt hat, ist nach der Meldung aus Frankfurt eventuell auch erschrocken, aber wohl kaum überrascht. Die Familien der NSU-Opfer beklagen bis zum heutigen Tag, dass zu wenig Licht in das verborgene Netz der Unterstützer gebracht wurde. Dabei hatte genau dieses die Entstehung der NSU-Terrorzelle überhaupt erst möglich gemacht.
Das letzte Mal mordete der NSU vor zwölf Jahren. Seitdem hat sich Deutschland stark verändert, ausgelöst durch die Aufnahme von mehr als einer Million Flüchtlingen 2015 und 2016. Sympathien für rechtes Gedankengut sind durch die rechtspopulistische "Alternative für Deutschland" AfD salon- und bundestagsfähig geworden. Rechtsextreme Gruppen zeigen sich immer unverfrorener in aller Öffentlichkeit - und wohl auch im Kollegenkreis der Polizei.
Bleibt zu hoffen, dass die schweigende Mehrheit entschlossen - im Kleinen wie im Großen - benennt, was sie sieht. Und dass jeder Einzelne reagiert, wenn rechtsextremes Gedankengut in der U-Bahn, in der Nachbarschaft, im Verein, bei der Arbeit, beim Kollegen auf dem Flur auflodert. Es ist jetzt an uns allen, diese Feuer im Keim zu ersticken.