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Politik

Nerven behalten, Deutschland!

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Jens Thurau
21. September 2018

Im ARD-Deutschlandtrend schneiden die Rechtspopulisten von der AfD erstmals besser ab als die SPD. Die Demokraten in Deutschland müssen jetzt die Nerven behalten und Stärke zeigen, meint Jens Thurau.

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Deutschland, Hamburg: Symbolbild AFD und der Verfassungsschutz
Bild: picture-alliance/M. Scholz

Eines vorweg: Die Rechtspopulisten von der "Alternative für Deutschland" (AfD) haben nichts, aber auch gar nichts anzubieten zur Lösung der Probleme im Land.  Ihr Monothema lautet: Die Flüchtlinge sind an allem Schuld. Sie schauen zu, wenn bei ihren Demonstrationen der Hitlergruß gezeigt wird, sie schweigen, wenn jüdische Restaurants angegriffen werden. Andere Themen - Wohnungsnot, soziale Fragen - interessieren sie nicht.

AfD im Osten schon vorn

Aber sie liegen im neusten ARD-Deutschlandtrend erstmals vor der SPD, der ruhmreichen, der ältesten deutschen Partei. Und das ist nur eine Momentaufnahme in einer Entwicklung, die lange noch nicht beendet sein muss. In den ostdeutschen Ländern liegt die AfD in einigen Umfragen im Durchschnitt schon auf Platz 1.

Und dennoch: 82 Prozent der Befragten der Umfrage haben sich nicht für die AfD entschieden. Ein Blick ins europäische Ausland zeigt, dass Deutschland damit noch ganz gut abschneidet. In Italien sind die Populisten an der Macht, Ungarn und Polen werden von Nationalisten regiert. Und in Washington wütet Donald Trump.

Alle AfD-Wähler rechtsextrem?

18 Prozent der Befragten würden also die AfD wählen. Eine demokratiefeindliche Partei, ausländerfeindlich, voller Ressentiments, ohne jede Empathie für Minderheiten. Eine Partei, die die Gewaltenteilung in Frage stellt. Sind diese 18 Prozent auch alle dieser Meinung?

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DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Wohl eher nicht. Wenn in Chemnitz, wie geschehen, tausende von Bürger sich einem Demonstrationszug anschließen, an dessen Spitze Adolf Hitler verherrlicht und zum Sturm auf den Staat aufgerufen wird, dann ist das schlimm genug. Aber es ist wohl auch das Zeichen, dass die Menschen keinen anderen Ort finden, an dem sie ihre Wut und Frust abladen können. Da geht es nicht nur um Asylbewerber und die Probleme im Miteinander - aber auch. Es geht um Wertschätzung, um Respekt, um das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, wenn in einer immer unsicheren Welt die Ängste zunehmen.

Schon lange haben alle Parteien wesentliche Themen vernachlässigt: Wohnungsnot, soziale Ungleicheit. Von solch einer Grundstimmung haben immer schon in der Geschichte - egal wo - die großen Vereinfacher und Hetzer profitiert. Im Nachkriegsdeutschland aber, zunächst nur im Westen, war das anders. Geläutert von den schlimmen Verbrechen der Nazis, war die große Mehrheit der Deutschen auf Ausgleich bedacht, auf Zurückhaltung, auf weniger polarisierende Debatten. Das ist jetzt anders. Die Gereiztheit ist überall zu spüren, auf den Straßen, in den Städten.

Demokraten müssen sich besinnen

Die alte, die etablierte Politik trägt das Ihre dazu bei: streitet offen, monatelang, ohne echten Lösungsansatz, um die Asylpolitik. Und verschweigt, dass es längst einen Konsens in der Regierung gibt, die Grenzen Europas im Grunde zu schließen. Jeder merkt: Dabei geht es auch um persönliche Abrechnungen, etwa zwischen der Kanzlerin und ihren Kritikern in den eigene Reihen, vor allem in der bayrischen CSU. Und wir, die Medien, schaffen es kaum noch, den Teil der Bevölkerung, der die AfD wählt, ohne Rechtsextreme wirklich gut zu finden, mit ihren Motiven auch wirklich abzubilden.

Das braucht es jetzt: Die Gesellschaft muss das Gespräch neu lernen. Die besonnenen Leute in allen etablierten Parteien, und die gibt es, müssen diesen Schreihälsen vor den Mikrofonen in die Parade fahren und die Demokratie verteidigen. Und die Medien müssen sich an ein altes, gutes Prinzip erinnern: Berichten. Und sich nicht gemein machen mit einer Sache - auch nicht mit einer guten.