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Politik

Neuer Schlag gegen die türkische Presse

Seda Serdar Kommentarbild App
Seda Serdar
31. Oktober 2016

Die linksliberale "Cumhuriyet" steht weiter in der Kritik des Systems Erdogan: Nun wurde auch der neue Chefredakteur in Haft genommen. Europa darf Erdogans Treiben nicht länger zusehen, meint Seda Serdar.

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Türkei Protest gegen Absetzung des Chefs der Zeitung Cumhuriyet
Bild: DW/K. Akyol

Am 29. Oktober feierte die Türkei den 93. Jahrestag der Gründung der türkischen Republik. Nur zwei Tage später wurde die Zeitung "Cumhuriyet", die genau so alt ist wie die moderne Türkei, zu einem weiteren Ziel der Kampagne gegen oppositionelle Medien. Die Regierung benutzt den Ausnahmezustand weiter als Vorwand, um die wenigen verbliebenen kritischen Stimmen auch noch zum Schweigen zu bringen.

Am Montag wurden der Chefredakteur und einige prominente Autoren festgenommen. Gegen den ehemaligen Chefredakteur der Zeitung, Can Dündar, der sich momentan in Deutschland aufhält, wurde ein Haftbefehl ausgestellt. Was die Sache noch absurder macht, ist die Behauptung, Journalisten, die sich kritisch über die Gülen-Bewegung - das Ziel Nummer eins der türkischen Regierung - geäußert hatten, hätten sich dieser nun angeschlossen.

Es ist eigentlich recht einfach: Jeder, der den aktuellen politischen Entscheidungen kritisch gegenübersteht, ist entweder ein Terrorist oder hat der PKK oder der Gülen-Bewegung auf irgendeine Art und Weise geholfen. So stellt es sich leider inzwischen dar.

Das Drehbuch ist längst geschrieben, und die Regierung wird nicht aufhören, bis all jene, die sich gegen sie stellen, hinter Schloss und Riegel sind. Das betrifft vor allem Journalisten, die auf der Suche nach der Wahrheit sind.

Rezept für bilaterale Spannungen

Nach dem gescheiterten Putschversuch und dem darauf folgenden harten Vorgehen Ankaras sind viele Akademiker und Journalisten nach Deutschland geflohen. Nicht nur die Intelligenzija, auch Diplomaten, nach denen die türkische Regierung wegen möglicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung fahndet, suchen in Deutschland gerade Zuflucht. Angesichts der Androhung von Folter scheint es wenig wahrscheinlich, dass Deutschland diese Menschen ausliefern wird. Die Bundesrepublik hadert noch damit, wie sie mit der Situation umgeht, ohne die Beziehungen zur Türkei zu gefährden.

Es würde nicht überraschen, wenn die Türkei um die Auslieferung von in Deutschland lebenden türkischen Journalisten nachsuchen würde, gegen die Haftbefehle erlassen wurden. In solch einem Szenario könnte es noch schwieriger werden, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Es könnte zu einer weiteren Konfliktwelle zwischen beiden Ländern führen.

Bekenntnis zur Demokratie

Es ist erstaunlich und enttäuschend, dass deutsche Politiker bislang nur sehr zögerlich auf die jüngsten Verhaftungen reagiert haben. Offensichtlich sorgt man sich Deutschland mehr um den wackeligen Flüchtlingsdeal als um den Zustand der Demokratie in der Türkei.

Die Verhaftungen, die Gesetzesänderungen, die Diskussionen um die Wiedereinführung der Todesstrafe und das Beharren auf einem Präsidialsystem in einer nichtfunktionierenden Demokratie zeigen, dass die Türkei rasant auf einen Punkt zusteuert, an dem es kein Zurück mehr gibt. Vielleicht früher als sie denken, müssen sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch andere europäische Politiker stärker Stellung für die Demokratie beziehen.

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