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Kommentar: Nigeria hat nicht die Wahl

Jan-Philipp Scholz27. März 2015

Einmal wurde die Abstimmung bereits verschoben, nun sollen die Nigerianer an diesem Samstag ihren neuen Präsidenten wählen. Viele haben das Interesse jedoch verloren - aus gutem Grund, wie Jan-Philipp Scholz meint.

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Nigerianer demonstrieren im Februar 2015 gegen die Verschiebung der Präsidenten-Wahl.
Bild: picture-alliance/AP Photo/O. Gbemiga

Der Skandal nahm bereits am 7. Februar seinen Anfang. Leider müsse man die Präsidentschaftswahl um sechs Wochen verschieben, hieß es. Das Militär müsse noch eben Boko Haram besiegen, damit dann überall im Land ordnungsgemäß gewählt werden könne. Die Nigerianer rieben sich verwundert die Augen: Sprachen Regierung und Armeeführung da von den Terroristen, die seit sechs Jahren mordend, plündernd und entführend den gesamten Nordosten des Landes - ein Gebiet von der Größe Portugals - unsicher machen und 1,5 Millionen Menschen in die Flucht getrieben haben? Sie sollen jetzt besiegt werden? In sechs Wochen? Großartig! Aber warum dann nicht eigentlich schon vor sechs Jahren?

Die Erfolge, die die nigerianische Armee und ihre militärischen Verbündeten in den letzten Wochen vermelden konnten, sind in der Tat beeindruckend - auch wenn die Nachrichten der vergangenen Tage, dass es in der nordnigerianischen Stadt Damasak zu einer neuen Massenentführung durch die Terroristen gekommen sein soll, einen herben Rückschlag darstellen. Nichtsdestotrotz: Übereinstimmende Berichte von Augenzeugen und Journalisten aus der Region sprechen dafür, dass durch die militärische Großoffensive Boko Haram aus zahlreichen Gebieten vertrieben werden konnte - und damit tatsächlich in die Enge getrieben wurde. Ein Grund zur Freude - bliebe da nicht die Frage der Nigerianer: Warum nicht eigentlich schon vor sechs Jahren?

Jan-Philipp Scholz, DW-Korrespondent in Nigeria
Das Land hat die Chance für einen Neuanfang verpasst: Jan-Philipp Scholz, DW-Korrespondent in NigeriaBild: DW/M. Müller

Ein Schlag ins Gesicht der Terror-Opfer

Vor wenigen Tagen gab Präsident Goodluck Jonathan in einem Interview die Antwort: Nigeria habe ja seit seinem blutigen Bürgerkrieg in den 1960er Jahren keinen Krieg mehr geführt. Außerdem produziere das Land keine eigenen Waffen, sondern müsse diese im Ausland einkaufen. Deshalb habe es eben alles ein wenig gedauert. Es ist eine Begründung, die an Dreistigkeit wohl kaum zu überbieten ist.

Nigeria, die größte Volkswirtschaft Afrikas mit einem Verteidigungsbudget von rund fünf Milliarden Euro pro Jahr, ein Land, dass in den vergangenen Jahren an zahlreichen Friedensmissionen vom Südsudan bis nach Liberia teilgenommen hat - dieses Nigeria schafft es sechs Jahre lang nicht, Waffen und regionale Verbündete für einen Kampf gegen eine brutale Terrorgruppe im eigenen Land zu organisieren? Und der Zeitpunkt, an dem sich dann doch alles wie von Geisterhand fügt und man endlich konsequent gegen die Terroristen vorgehen kann, ist zufällig kurz vor den Präsidentschaftswahlen?

Die Verlogenheit des Präsidenten ist unfassbar. Und sie ist ein Schlag ins Gesicht der Familien der tausenden Opfer von Boko Haram. Aber entscheidender ist wohl die Tatsache, dass Nigerias politische Elite nur alle vier Jahre bemerkt, dass es auch so etwas wie ein Volk gibt, dass ihnen zumindest den Anschein einer demokratischen Legitimation verschaffen muss. Jahrelang kümmerte sie das Schicksal der Millionen Nordnigerianer, die unter dem Terror litten, einfach nicht. Oder zumindest kümmerte sie es zu wenig, um sich ernsthaft Gedanken zu machen, wie dieser Konflikt zu lösen wäre. Das Militärbudget wurde hemmungslos geplündert - und die Terroristen konnten weiterhin morden und vergewaltigen. Ein Präsident, der solche Zustände zu verantworten hat, hat offensichtlich jeden Führungsanspruch verloren.

Ein Gegenkandidat mit dunkler Vergangenheit

Doch was ist die Alternative? Der einzige ernstzunehmende Gegenkandidat ist der ehemalige Militärdiktator Muhammadu Buhari. Viele Nigerianer - besonders im muslimisch geprägten Norden - halten ihm zugute, dass er als unbestechlich gilt und für seinen bescheidenen Lebensstil bekannt ist. Allerdings - und das ist die andere Seite der Medaille - ließ er in seiner Zeit als Militärführer in den 1980er Jahren zahlreiche Kritiker einsperren und Oppositionelle verfolgen. Die Zeiten und Umstände haben sich geändert, sagen seine Verteidiger. Mittlerweile hätten sich - mehr oder weniger funktionsfähige - demokratische Institutionen im Land etabliert, die die Macht des Präsidenten begrenzten. Selbst, wenn er wollte, könne er nicht mehr wie früher. Soll uns das beruhigen? Als Buhari konnte, wollte er auch. Als er die alleinige Macht besaß, nutzte er diese gnadenlos aus. Dass die Umstände nun andere sind, ist nicht sein Verdienst. Im Gegenteil, als Militärdiktator wollte Buhari von einer Rückkehr zur Demokratie nichts wissen.

Der Volksmund sagt: Jedes Volk hat die Politiker, die es verdient. Wollte man diesen Spruch auf Nigeria anwenden, wäre dies eine Beleidigung der 170 Millionen Einwohner des westafrikanischen Riesen. Menschen, die zum allergrößten Teil hart arbeiten, um sich und ihre Familien irgendwie über die Runden zu bringen. Nein, Nigeria hat nicht die Politiker, die es verdient. Denn die Wahl, die die Menschen haben, ist in Wahrheit keine: Lügner oder Ex-Diktator? Und über allem schwebt die unsichtbare Hand des Militärs und mächtiger Ogas - reiche, einflussreiche, meist ältere Herren, die als wichtige "Königsmacher" im Land gelten. Sollte ihnen das Wahlergebnis nicht gefallen, so befürchten einige, könnten sie ihre Macht nutzen, um eine Übergangsregierung nach ihrem Geschmack zu bilden. So steht leider ein Ergebnis bereits fest, bevor die Wahllokale geöffnet haben: Nigeria hat die Chance für einen Neuanfang verpasst.