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Pakistans Elite im Visier

Weigand Florian Kommentarbild App
Florian Weigand
20. Januar 2016

Fast jeden Tag wird Pakistan von neuen Anschlägen erschüttert. Der Terrorismus wird ohne einen klaren und mutigen zivilen Widerstand in der pakistanischen Gesellschaft nicht auszurotten sein, meint Florian Weigand.

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Pakistan Schusswechsel und Explosionen auf Universitätscampus in Charsadda
Bild: Getty Images/AFP/A. Majeed

Der Taliban-Angriff auf eine pakistanische Universität weckt düstere Erinnerungen. Es ist nur etwas mehr als ein Jahr vergangenen seit dem Massaker an einer Schule in Peshawar, nur knapp 50 Kilometer vom heutigen Anschlagsort entfernt. Damals starben mehr als 150 Schüler und Dozenten. Heute scheinen es deutlich weniger zu sein, aber das ist ein schwacher Trost. Und solche Zahlen gegeneinander aufzuwiegen wäre nicht nur zynisch, diese Rechnung ginge auch an den Realitäten vorbei. Denn wichtig bleibt nur die eine Botschaft: Schon wieder sind die pakistanischen Eliten im Fadenkreuz - vor allem die Söhne und Töchter von Militärs, Politikern, Geschäftsleuten und Akademikern.

Attacke auf den selbsternannten Friedensfürsten Sharif?

Die Extremisten wissen: Nur wenn die Eliten selbst betroffen sind, können sie eine Reaktion provozieren. Die fast schon routinemäßigen Angriffe auf den Basar, den Checkpoint oder die Patrouille, wo Polizisten und Soldaten auf Krämer und Rikschafahrer treffen, werden zwar mit Bedauern zur Kenntnis genommen, die Wirkung auf die Entscheidungsträger bleibt aber gering. Was die Angreifer allerdings konkret erreichen wollen, lässt noch viel Spielraum für Spekulationen, hat aber sehr wahrscheinlich mit dem neuem Anspruch der Regierung Nawaz Sharif zu tun, sich als selbsternannten Friedensfürsten in der Region zu profilieren.

Gespräche zwischen Pakistan, Afghanistan, den USA und China loten gerade die Möglichkeiten aus, die Taliban zu einem dauerhaften Frieden zu bewegen. Und eben gerade ist Nawaz Sharif von einer Tour nach Saudi-Arabien und in den Iran zurückgekehrt, wo er sich als Mediator in dem sich verschärfenden Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten anbot. Das ist vielen ein Dorn im Auge. Die Angriffe können also durchaus als Drohung gegen diese Bemühungen verstanden werden. Da passt es ganz gut in Bild, dass die Annäherung zwischen Pakistan und dem großen Nachbarn Indien ebenfalls mit einem Terror-Angriff auf eine indische Militärbasis torpediert wurde und der Prozess derzeit deshalb auf Eis liegt.

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Florian Weigand leitet die DW-Redaktionen Paschtu, Dari und Urdu

Vor einem Jahr hatten sich die Extremisten nach dem Angriff auf die Schule in Peshawar jedoch gründlich verrechnet. Die Empörung in der pakistanischen Gesellschaft war groß. Das Militär wurde in einer Großoperation ausgesandt, um die Taliban in den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan niederzukämpfen. Die Todesstrafe wurde wieder eingeführt - in der Folge mussten freilich auch viele Verurteilte ohne terroristischen Hintergrund unter den Galgen treten. Der Erfolg bleibt in der Rückschau jedoch überschaubar - wie die neue Attacke auf den Uni-Campus beweist.

Hochburgen der Radikalisierung bleiben unbehelligt

Die schneidige Attacke gegen den Terrorismus führte nämlich schnurstracks an den wahren Hochburgen der Radikalisierung vorbei. Noch immer können übelbeleumundete Madrassas - religiöse Schulen - nahezu ungehindert arbeiten und Nachwuchs für den heiligen Krieg rekrutieren. Und zu keinem Zeitpunkt wurden Finanzströme aus dem Ausland, die terroristische Aktivitäten unterstützen, wirkungsvoll trockengelegt. Und niemand traut sich, den berüchtigten Geheimdienst ISI auf Kurs zu bringen, der im Verdacht steht, den islamischen Extremismus in der gesamten Region als willkommenes Werkzeug für seine eigenen Ziele zu nutzen und regemäßig die zivile Regierung zu torpedieren.

Was Not tut, ist ein breiter, laut artikulierter gesellschaftlicher Widerstand - eben auch und vor allem von den Eliten im Land, die nun zum zweiten Mal in Visier der Extremisten gerieten. Ein liberaler Islam, wie er seit Jahrhunderten Tradition auf dem Subkontinent hat, wird von ihnen zwar privat gelebt, in der Öffentlichkeit aber selten artikuliert. Zu groß ist die Angst, in die Falle der Blasphemie-Gesetze zu tappen oder mit anderen, subtileren Repressalien konfrontiert zu werden. Ohne eine offene gesellschaftliche Diskussion, die klar benennt, wo die Wurzeln des Extremismus vor der eigenen Haustür liegen, wird der Terrorismus in Pakistan aber nicht auszurotten sein.