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Politik

Weniger ist mehr

Kommentarbild Muno Martin
Martin Muno
27. Januar 2019

Jedes andere Industrieland hat ein generelles Tempolimit auf Autobahnen. Nur Deutschland nicht. Das ist ein Anachronismus, denn es gibt gute Gründe, die gegen das Recht aufs Rasen sprechen, meint Martin Muno.

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Autobahn-Drängler Verkehrsrowdy mit Lichthupe
Bild: picture-alliance/dpa

Wer in den 1970er-Jahren in Deutschland lebte, kennt den Slogan "Freie Fahrt für freie Bürger." Mit dem nämlich wandte sich der Autofahrer-Verein ADAC gegen die Versuche der Bundesregierung von Willy Brandt, 1973 ein Tempolimit auf Autobahnen einzuführen. Und die Autofahrer-Lobby setzte sich durch. Im Gegensatz zu allen anderen Industriestaaten weltweit gibt es hierzulande keine generelle Tempobegrenzung, obwohl es gute und gewichtige Gründe dafür gibt.

Erstens, die Sicherheit für Leib und Leben: 2017 gab es auf den deutschen Autobahnen rund 21.000 Unfälle mit Personenschaden. Über 400 Menschen kamen ums Leben, 6.000 wurden schwer verletzt. Hauptursache ist zu schnelles Fahren. Auf Abschnitten ohne Tempobegrenzung kommen fast 50 Prozent mehr Menschen je Autobahnkilometer ums Leben als auf Strecken mit Limit.

Eine Chance für sparsame Autos

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DW-Redakteur Martin Muno

Zweitens, der Klimaschutz: Hier hat die EU ehrgeizige Ziele formuliert. Der Verkehrssektor soll seine CO2-Emission bis 2030 um 70 Millionen Tonnen gegenüber 1990 senken. Zwar bringt ein Tempolimit nach Berechnungen des Bundesumweltamtes nur ein paar Prozent Einsparungen, es dürfte aber einen Folge-Effekt geben. Denn dann gäbe es weniger Gründe, schwere PS- und hubraumstarke Autos zu kaufen. Und wer kleinere Wagen fährt, hat zudem noch ein individuelles Plus im Portemonnaie: Geringere Anschaffungskosten, sparsamerer Benzinverbrauch und geringere Ausgaben für Steuer und Versicherung. 

Drittens, ein besserer Verkehrsfluss: Tempolimits sorgen für gleichmäßigere Verkehrsströme - deswegen gibt es rund um die Städte angepasste Geschwindigkeitsbegrenzungen. Ein generelles Tempolimit führt dadurch auch zu einer besseren Auslastung der Autobahnen. Neue Strecken könnten eingespart werden.

Die Freiheit der Lichthupe

Viertens, weniger Stress: Wer mit einem Kleinwagen auf deutschen Autobahnen unterwegs ist, kennt das - rechts eine unendliche Kolonne von Lastwagen, links die Boliden mit Tempo 180, die ihr Recht aufs Rasen gerne auch mal mit der Lichthupe durchsetzen. Und in der Mitte knubbelt sich der Rest. Dabei spart Rasen kaum Zeit, denn die nächste Baustelle ist oft nur wenige Kilometer entfernt. Ist das also die Freiheit, die wir Bürger wollen? Wohl kaum.

Man sagt ja gerne den Deutschen nach, dass für sie die unlimitierte Fahrt auf Autobahnen das ist, was den US-Amerikanern der Waffenbesitz bedeutet: rational ein Wahnsinn, aber emotional tief verankert. Doch das scheint sich zu ändern: Denn nach einer Forsa-Umfrage vom Januar 2018 befürwortet eine knappe Mehrheit der Bevölkerung ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern.

Ja, es stimmt: Freie Fahrt für freie Bürger - das bedeutete vor 45 Jahren den Wunsch nach Mobilität im eigenen PKW. Doch die Zeiten haben sich gewandelt. Heute wird der Slogan eher als anachronistisch empfunden. Es wird Zeit für ein generelles Tempolimit.

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Martin Muno Digitaler Immigrant mit Interesse an Machtfragen und Populismus@martin.muno