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PolitikEuropa

Protest gegen den "Schattenstaat"

5. August 2020

Auf seinem Nachttisch liegen eine Pistole und Goldbarren - jetzt protestieren die Bulgaren gegen ihren Premier Boiko Borissow. Doch das Problem liegt tiefer und die EU darf nicht mehr wegsehen, meint Alexander Andreev.

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Bulgarien I Proteste gegen Regierungsbeschlüsse
Bild: picture-alliance/H. Russev

"Ich sagte, ich sei ein einfach gestrickter Mensch, der kein Englisch spricht, deswegen hätte ich sie missverstanden; und dann habe ich sie ausgetrickst." Das erzählt sinngemäß der bulgarische Premier Boiko Borissow in einem illegal abgehörten Telefongespräch über seine Gespräche mit den Regierungschefs anderer EU-Staaten, deren Authentizität er gar nicht bestreitet. Der originale Wortlaut der abgehörten Gesprächen ist im übrigen viel krasser: Die zahlreichen Obszönitäten würden jedes weiße Blatt Papier erröten lassen.

Der gute Borissow, der böse Borissow

Die Echtheit der Aufnahme ist zwar nicht bestätigt, aber alle, die Borissow schon einmal erlebt haben (auch der Autor dieser Zeilen) erkennen darin eindeutig nicht nur seine Stimme, sondern auch seine Denkmuster und seine manipulative Haltung. Und genau die wird zunehmend zu einem Problem. Nicht nur für Bulgarien, sondern auch für die EU.

Andreev Alexander Kommentarbild App
Alexander Andreev leitet die Bulgarische Redaktion

Denn laut Transparency International gilt Bulgarien seit Jahren als das korrupteste Land in der EU - und trotzdem wird diese Feststellung gerne unter den Brüsseler Teppich gekehrt. Die "bösen Jungs" der EU sitzen nämlich in Warschau und in Budapest, während in Sofia ja ein echter Europäer und zuverlässiger Partner regiert - so der Tenor. Doch das ist noch mehr als nur eine "optische Täuschung": Borissow spielt zwar immer den guten Europäer - bei den Sanktionen gegen Moskau, während der Flüchtlingskrise, in der gemeinsamen Energiepolitik, bei der Einhaltung der Finanzkriterien, ja auch in der Coronakrise. Gleichzeitig aber hat er die Rechtsstaatlichkeit in Bulgarien ausgehöhlt, die Wirtschaft (und vor allem die EU-Fonds) zu einem Selbstbedienungsladen für dubiose Oligarchen und treue Parteifreunde verwandelt, die Medienfreiheit über Mittelsmänner zu Boden getreten (Platz 111 in der jährlichen Liste von "Reporter ohne Grenzen") und letztendlich die demokratische Politik zu einer vulgären One-Man-Show degradiert.

Totale Gleichschaltung von Politik, Wirtschaft, Justiz und Medien

Gerade deswegen protestieren derzeit Tausende auf den Straßen Bulgariens, und zwar seit einem Monat. Die Menschen haben es einfach satt. Es sind nicht nur die unendlichen Korruptionsskandale, in die mehrere hochrangige Vertreter der Regierungspartei GERB verwickelt sind. Es sind nicht nur die heimlich aufgenommenen Fotos aus dem Schlafzimmer von Borissow mit Pistole, Goldbarren und 500-Euro-Bündel auf dem Nachttisch. Es ist nicht nur die vulgäre Art und Weise, wie er in den Aufnahmen den Staatspräsidenten, die Parlamentsvorsitzende und die ganze bulgarische Bevölkerung behandelt.

Es ist vor allem eins: die totale Gleichschaltung von Politik, Wirtschaft, Justiz und Medien, die in den drei Amtszeiten von Borissow schleichend vollzogen worden ist. Drei Amtszeiten, in denen ein "Schattenstaat" entstanden ist: mit unsichtbaren Machtzentren und einer Justiz, die fast vollkommen von der Exekutive kontrolliert wird. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Demonstranten in Bulgarien auch den Rücktritt des Generalstaatsanwalts Iwan Geschew verlangen - eines Halbjuristen und Handlanger der Mächtigen, der die Gewaltenteilung in Frage stellt und das Büro des Staatspräsidenten illegal durchsuchen lässt.

Drei Frauen könnten Borissow zu Fall bringen

Rücktritt und Neuwahlen - das fordern die Protestierenden. Ob Borissow nachgibt, ob er einen Kompromiss oder ein Ausweichmanöver zustande bringt, um bis zur regulären Parlamentswahl im April 2021 zu überleben, steht zurzeit in den Sternen. Und selbst, wie ein neu gewähltes Parlament aussehen könnte, ist ziemlich ungewiss.

Sicher ist aber eines: Die EU, die Europäische Volkspartei (deren Mitglied GERB ist) sowie die Bundesregierung, aber auch die neue EU-Generalstaatsanwältin dürfen nicht mehr beide Augen zudrücken. Die Demonstranten in Bulgarien, aber auch mehrere Journalisten und Bulgarien-Kenner in Deutschland haben es bereits gesagt, hier sei es wiederholt: Angela Merkel, Ursula von der Leyen, Laura Kövesi - sie dürfen nicht mehr die schützende Hand über Boiko Borissow halten!