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Ratlos nach dem Brexit

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
7. Juli 2016

Noch haben die EU-Spitzen keine Antwort auf den Brexit gefunden. Bis ein gemeinsamer Plan zustande kommt, kann es bis zum nächsten Jahr dauern. Zu lange, denn die nächste Bewährung kommt im Oktober, meint Bernd Riegert.

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Zettel Fragezeichen
Bild: Fotolia/ra2 Studio

Zwei Wochen nach dem Brexit, einen EU-Gipfel und zwei Debatten im Europäischen Parlament später ist immer noch unklar, wie der Austritt der Briten aus der Union organisiert werden soll. Und welche Konsequenzen die übrigen 27 Mitglieder aus diesem Schritt ziehen wollen. In Großbritannien geht es aus Brüsseler Sicht chaotisch bis anarchisch zu. Erst im September wird es wahrscheinlich eine Premierministerin geben, die die EU-Bürger in Großbritannien als politische Geiseln in den anstehenden komplexen Verhandlungen mit der EU nehmen will. Die dürften nur bleiben, wenn Großbritannien Zugang zum begehrten EU-Binnenmarkt bekomme - ein perfider Plan der neuen konservativen Galionsfigur Theresa May.

Auch auf der anderen Seite bringen sich die Hardliner in Stellung: Sie wollen, wie der französische Präsident Hollande, die Briten leiden lassen. Die Furcht vor einem wirtschaftlichen Niedergang Großbritanniens, der sich ankündigt, spielt ihnen in die Hände. Jüngste Meinungsfragen zeigen, dass sich bereits ein erster Effekt von Abschreckung einstellt. Der Brexit-Schock hat in einigen Europa-skeptischen Ländern wie Dänemark, Finnland und auch Italien zu besseren Werten für die EU geführt. Wie lange dieser Effekt anhält, ob Wochen oder Monate, weiß niemand. Auch der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker folgt in abgeschwächter Form diesem eher konfrontativen Pfad: Die Briten sollen so schnell wie möglich raus. Sie dürfen weiter handeln, aber nur wenn sie, wie Norwegen, einen Preis zahlen und weiter Einwanderung aus der EU zulassen.

Abwarten und Tee trinken?

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel macht, was sie immer macht: erst einmal abwarten. Und irgendeine pragmatische Lösung finden, um Briten und Rest-EU nicht im Krawall versinken zu lassen. Also macht auch die EU, was sie immer macht: Sie spielt auf Zeit. Nachdenk-Gipfel im September und dann im Frühjahr beim Jubliäums-Gipfel zu den Römischen Verträgen einige wegweisende Beschlüsse. Vielleicht.

Die relative Ratlosigkeit lässt sich grob in zwei Lager einteilen: Die Sozialdemokraten und Liberalen im Parlament, angeführt von Parlamentspräsident Martin Schulz, fordern mehr Europa, mehr Integration, gar eine europäsiche Regierung. Das klingt nach weniger Souveränität für die Mitgliedsstaaten und langwierigen Änderungen der Europäischen Verträge. Die Visionen von Martin Schulz, die von den deutschen Sozialdemokraten in der Berliner Regierungskoalition nur halbherzig geteilt werden, wären eine dramatische Antwort auf den Brexit, haben aber kaum Chancen in der realen EU-Welt.

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Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Dort dominiert eher das zweite Lager, das mit einem strammen "Weiter so, nur besser und schneller" antwortet. Man könne alles gebrauchen, nur keine Debatte über Verfahren und Methoden, schimpfte der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi. Der niederländische Regierungschef Marc Rutte setzt die EU weiter mit der mühsamen Suche nach Kompromissen gleich, fordert aber auch ein Umdenken, ohne die Richtung zu nennen. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble regt gar an, die EU zu umgehen und Kompromisse eher in Koalitionen der Willigen unter den Regierungen der Mitgliedsstaaten zu finden. Ist Kern-Europa doch besser?

Jeder hat seine Interessen

Die südlichen EU-Länder sehen nach dem Brexit die Chance, die Haushaltsdiziplin zu lockern, die Brüssel angeblich diktiert. Die nördlichen Länder, die zahlen müssten, lehnen das ab, weil der Brexit nun so gar nichts mit dem Euro und der notwendigen Sparsamkeit zu tun gehabt habe. Einige östliche Mitglieder vermengen den Brexit mit der Verteilung von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Auch damit hatte Großbritannien herzlich wenig zu tun. Klar ist den EU-Politikern nur, dass es sowohl für die Wirtschaftskrise als auch für die Flüchtlingskrise eine Lösung geben muss. Nur welche? In diesen Fragen schweißt der Brexit als gefühlte Bedrohung eben nicht zusammen, sondern lässt Gegensätze noch stärker zu Tage treten.

Viel Zeit für vernünftige Antworten bleibt der EU eigentlich nicht, denn am 2. Oktober droht der "Supersonntag": Ungarn stimmt über die Flüchtlingsverteilung ab, Österreich über den nächsten Präsidenten. Beide Abstimmungen werden grundsätzlich auch den Weg dieser Länder in der EU weisen. Und im Oktober stimmt auch Italien über Verfassungsreformen ab. Dieser Volksentscheid kann wegen der grassierenden EU-Skepsis in Italien ganz schnell zu einem EU-Referendum mutieren.

Zwei Wochen nach dem Brexit muss man befürchten, dass es angesichts der gegenläufigen Ansichten in der Union keinen großen Wurf, keine einschneidenen Reformen und keinen neuen Schwung für das europäische Projekt geben kann. Die EU taumelt lethargisch auf den Abgrund zu. Wer hat die Kraft und den politischen Willen, sie aufzuhalten?

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Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union