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Kommentar: Reality? Shocking!

Marko Langer8. Mai 2015

Der Mann war eigentlich schon am Ende. Nun bleibt David Cameron an der Macht. Für Demoskopen und Presseleute, die anderes erwartet haben, gilt: Knapp daneben ist auch vorbei. Zeit für Selbstkritik, findet Marko Langer.

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David Cameron mit Journalisten (Foto: Getty Images)
Bild: Christopher Furlong/Getty Images

Cameron mit Kondom über dem Kopf. Funny. Ein Trottel, der so herumläuft. So wie der britische Karikaturist Steve Bell den Premierminister seines Landes regelmäßig darstellt, so sahen ihn viele Journalisten: Vorsichtig ausgedrückt war Cameron für Beobachter im In- und Ausland das, was man eine "lame duck" nennt. Eine lahme Ente.

Auch an dieser Stelle war zu lesen, wahrscheinlich werde es eine wochenlange Hängepartie geben, bis in Großbritannien eine neue Regierung gebildet sei. Von wegen! Schon am Tag nach der Wahl steht der Mann von gestern als Mann von Morgen an der Spitze einer Alleinregierung. Reality? Shocking!

Die Wähler ticken anders

Ja, wir Beobachter und Analysten. Benjamin Netanjahu war auch so ein Fall. International isoliert, mit den Verbündeten in Washington spinnefeind, eigentlich eine Unperson als Regierungschef, dieser "Bibi". Selbst Beobachter in Tel Aviv waren fassungslos, als sie nach der jüngsten Wahl konstatieren mussten, wie falsch sie mit ihrem Urteil lagen. Der Hardliner macht weiter.

Denn die Wähler ticken oft anders als "wir Journalisten", ungeachtet der politischen Farbenlehre. Mehrheiten setzen gerne auf das Gewohnte, auf Sicherheit oder wenigstens auf unterstellte Kompetenz im Wirtschaftsbereich. "It‘s the economy, stupid", belehrte einst Bill Clinton die Skeptiker in Washington und machte klar: Ein Dummkopf ist, wer nicht an den wirtschaftlichen Aufschwung als Wahlkampfschlager glaubt.

Marko Langer (Foto: Sarah Erlenbruch)
Marko Langer, DW-NachrichtenredaktionBild: Sarah Ehrlenbruch

Machtpolitiker wissen das

Und so mögen wir, ein weiteres Beispiel, noch so sehr das Undemokratische am Mann im Kreml anprangern: So lange die Russen daran glauben, dass Wladimir Wladimirowitsch Putin es ist, der ihnen das Überleben sichert, kann sich die Opposition in Moskau auf schwierige Zeiten einstellen.

Machtpolitiker wissen das. Einer, dessen Kopfform dem Mann mit dem Kondom ähnelte, war dafür das beste Bespiel. Als er noch aktiv war, lispelte er und mochte Saumagen gerne. Wir nannten ihn zur Strafe "Birne". Doch die Presseleute waren Helmut Kohl, nun ja, eher egal. Bezeichnenderweise stammte der Zeitungsartikel in der Frankfurter Allgemeinen, der dann Kohls politisches Ende einläutete, gar nicht von einem Journalisten. Ihn musste eine Politikerin schreiben - seine spätere Nachfolgerin Angela Merkel.

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