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Politik

Religion und Innehalten in Corona-Zeiten

9. April 2020

Kirchen, Synagogen und Moscheen bleiben erstmals geschlossen, selbst an hohen religiösen Feiertagen - eine traurige Premiere in der Corona-Pandemie. Aber für Gläubige liegt darin auch eine Chance, meint Christoph Strack.

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Vatikan | Coronavirus | Papst Franziskus | Petersplatz | Urbi et Orbi
Außergewöhnliches "Urbi et orbi": Papst Franziskus auf dem leeren Petersplatz am 27. MärzBild: Reuters/G. Mangiapane

Die kürzeste Definition von Religion ist Unterbrechung. Ein großes Wort. Der katholische Theologe Johann Baptist Metz (1928-2019) nahm es vor Jahrzehnten vom Philosophen Sören Kierkegaard (1813-1855) auf. Metz, der große Stifter der neuen politischen Theologie, verband damit Verheißung für die Leidenden im Schmerz der Welt wie auch Warnung an eine zu verbürgerlichte Religion mit ihrem Weiter-So. Macht es Euch nicht zu bequem mit Eurem Gott. Unterbrechung. Innehalten.

Und nun erfährt die Welt Unterbrechung. Über Grenzen hinweg und quer durch alle Gesellschaften. Denn das Corona-Virus kennt keine Begrenzung, COVID-19 ist eine Pandemie, eine globale Bedrohung. Die Welt steht still, die Welt ist in Furcht. Das ist ungewöhnlich. Denn wenn in Afrika Hunderttausende an Hungersnöten sterben, wenn auf Island ein Vulkan spuckt oder in Asien ein Tsunami Leid und Tod bringt - dann konnte das der größere Teil der Weltöffentlichkeit medial aus der Distanz verfolgen. Das ist vorbei. Corona geht alle an.

Corona wird auch zu einer religiösen, einer geistlichen Anfrage. Schmerz, Trauer, Zweifel, Wut. Als gläubiger Mensch muss man erst mal aushalten, dass in der Schöpfung Gottes so etwas möglich ist. Der ein oder andere sieht in Corona eine Strafe Gottes. Aber daraus spricht lediglich ein wirres Gottesbild.

Unterbrechung für Christen - Juden - Muslime

In diesen Tagen wird Corona zur Unterbrechung. Die Christen in aller Welt stehen in der Karwoche und gehen auf die Feier des Leidens und Sterbens Jesu und seiner Auferstehung zu. Für die Juden hat am Mittwoch Pessach begonnen, das Gedenken an den Auszug aus Ägypten, an die Befreiung aus der Sklaverei. Und in zwei Wochen rüsten sich die Muslime für den Ramadan. Bei all diesen Festen der drei Religionen - so unterschiedlich sie sein mögen - geht es an zentraler Stelle auch um festliches Essen in Gemeinschaft, beim jüdischen Seder-Abend, beim christlichen Gründonnerstags-Abendmahl, beim muslimischen Fastenbrechen.

Deutsche Welle Strack Christoph Portrait
DW-Kirchenexperte Christoph StrackBild: DW/B. Geilert

Und nun? Unterbrechung. Einschränkung. In Israel widersetzen sich ultraorthodoxe Juden den staatlichen Vorgaben, in Saudi-Arabien geht es um die Absage der diesjährigen großen Wallfahrt nach Mekka, die im Sommer ansteht. So schwer sich manch einer tut: Im Umgang der Religionen mit den Regulierungen im Kampf gegen Corona zeigt sich deren Position gegenüber den Notwendigkeiten der Moderne. So haben im Judentum in einem beispiellosen Schritt Oberrabbiner weltweit zur Einhaltung nationaler Vorgaben im Kampf gegen Corona aufgerufen.

Der menschenleere Petersplatz - Sinnbild der Pandemie

Auf christlicher Seite gilt bereits die Segensfeier von Papst Franziskus auf dem Petersplatz Ende März als "das" Bild zur Pandemie. Der alte Mann betet, fleht zu seinem Gott. Vor sich der menschenleere Platz als Bild des leeren Roms, als leerer Platz auch für all die Opfer und Infizierten, die um ihr Leben kämpfen.

Dieser Segen "Urbi et orbi" wird sonst auch mal gerne bespöttelt, weil er eben auch offiziell mit Ablass von Sündenstrafen verbunden ist. Niemand sprach mehr davon. Jetzt, wo es ernst ist. Wo es um die menschliche Grundexistenz geht.

Es wird ernster, auch für glaubende Menschen. Für jeden Glaubenden wird Corona zur Frage. Ostern in Deutschland oder Mitteleuropa - das bedeutete in den vergangenen Jahren für die einen ein paar freie Tage und Streit um Tanzverbote an Karfreitag, für die anderen religiöse Unterbrechung für die große Geschichte Gottes mit den Menschen. Gründonnerstag mit der Feier von Gemeinschaft beim Abendmahl, dieser Ur-Stunde von Kirche. Karfreitag mit der Passion und diesem grausamen, schändlichen Tod am Kreuz. Karsamstag, dieser dramatisch trostlose Tag der Abwesenheit Gottes - hinein in das schier Unglaubliche, den Sieg des Lebens, die Auferstehung Jesu durch den Tod hindurch.

Die Welt ist jetzt Karsamstag - und die Auferstehung?

So vieles kennt man, so vieles ist ritualisiert. Schweigende Glocken und Osterfeuer, schwermütiger Gesang und große liturgische Texte, Eiersuchen und "Urbi et orbi". In Corona-Zeiten ist so vieles, alles anders. Geistliche feiern Liturgien vor Kameras, Übertragungen kommen auf allen möglichen Wegen. Wer glaubt oder zweifelnd glaubt, wird einstimmen oder auch andere Wege suchen. Wird das gemeinsame Mahl mit Freunden geistlich verstehen. Wird die Texte neu bedenken. Glaubens- oder Unglaubensgespräche wagen.

Denn die Welt steht still in dieser Unterbrechung. Und sie steht, so wirkt es, still mitten im Karsamstag, in diesem Tag ohne Trost und jenseits aller Perspektiven. Die täglich neu erschütternden Opferzahlen aus Italien, Spanien, aus den USA, zusehends auch aus Deutschland. Abgebrochene Leben, Verzweiflung, Wahnsinn, bleibender Schmerz. Die Trostreden früherer Jahre, die man auf Ostern hin gewohnt ist, werden nicht reichen. Kirche hat heute vielleicht eher die Zeichen als die Worte.

Aber es bleibt doch die große Rede von Auferstehung. Dieses provozierende skandalöse Wort. Unterbrechung. In diesen Tagen erst recht.

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