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Politik

Rote Karte für Erdogan!

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
11. März 2017

Wahlkampfauftritte in Europa versucht die Regierung Erdogan immer rüder durchzusetzen. Jetzt wiesen die Niederlande den türkischen Außenminister ab. Richtig so, meint Kersten Knipp. Denn Ankaras Kurs ist unakzeptabel.

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AKP Kundgebung in Ankara Recep Tayyip Erdogan
Bild: picture alliance/dpa/H. Kaiser

Die gute Botschaft kommt an diesem Samstag aus den Niederlanden. Am Vormittag haben sie dem Flugzeug des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu die Landeerlaubnis verweigert. Der Minister wollte am Abend einen Wahlkampfauftritt in Rotterdam bestreiten - gegen den Willen der niederländischen Regierung und der Mehrheit der Bevölkerung. Cavusoglu beeindruckte das nicht: In eigenwilliger Ausdeutung des Gastrechts beharrte er auf seinem Auftritt, und zwar unter Androhung von Sanktionen. Jetzt aber muss sein Flugzeug am Boden bleiben. Und das ist gut so.

Bislang war es so, dass sich Politiker Wahlkampfauftritte außerhalb des eigenen Landes aus Respekt vor ihren ausländischen Partnerstaaten versagten. Nicht so die Mannschaft Erdogans: Mit brachialer Sprachgewalt, mit wüsten, unter die Gürtellinie zielenden Beschimpfungen wie im Begriff der auf Deutschland gemünzten "Nazi-Methoden" und der - von Erdogan persönlich geäußerten - Beleidigung der Niederländer als "Faschisten" versuchen sie ihre Agenda durchzudrücken. Dass das freundschaftliche Beziehungen in nie gekanntem Maß zerrüttet, nehmen die türkischen Regierungsmitglieder um ihrer persönlichen politischen Zukunft Willen offenbar in Kauf.

Ein gewagtes Kalkül

Knipp Kersten Kommentarbild App
DW-Autor Kersten Knipp

Dass es überhaupt zur der Diskussion gekommen ist, ob man sich auf solche Haudrauf-Methoden einlässt, ist nicht allein der Zurückhaltung der westeuropäischen Diplomatie geschuldet. Westliche Politiker wollen - allerdings auf passive Weise - verhindern, dass der türkische Staat zu jenem autokratischen Regime verkommt, zu welchem Staatspräsident Erdogan das Land durch das angestrebte Präsidialsystem offenbar machen will.

So könnte es durchaus sinnvoll sein, die Wahlkampfauftritte von Erdogans Leuten zuzulassen - und damit Erdogans propagandistisches Bild einer von feindlichen Nachbarn umgebenen Türkei in sich zusammenfallen zu lassen und ihm so den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ginge der Plan auf, stünden Erdogan und Co bei einem verlorenen Referendum mit leeren Händen da. Sie wären blamiert und propagandistisch entlarvt. Dann hätte sich die Zurückhaltung der Europäer gelohnt.

Das Problem ist nur: Wie die türkische Bevölkerung entscheidet, weiß niemand. Triumphiert Erdogan, kann er vor seinen Wählern damit prahlen, wie sehr er selbst die europäischen Nachbarstaaten im Griff hat.

Beleidigtsein als politischer Stil

Tatsächlich hat Erdogan in Westeuropa, etwa in Deutschland, Einfluss. Nicht nur durch das Flüchtlingsabkommen, das die EU unter Federführung von Bundeskanzlerin Merkel mit ihm geschlossen hat, sondern auch durch seine in Deutschland lebenden Anhänger. Gewiss: Nicht alle türkischstämmigen Deutschen zählen zu seinen Fans. Aber unter den insgesamt 1,4 Millionen in Deutschland lebenden türkischstämmigen und türkischen Bürgern, die in der Türkei wählen dürfen, ist deren Zahl offenbar auch für den türkischen Präsidenten relevant. Auch um dieser Bürger willen - wurde nun argumentiert - müsse man türkische Politiker in Deutschland ihren Wahlkampf führen lassen - wenn nicht, drohten sich die AKP-Anhänger in Deutschland politisch zu isolieren.

Das ist gut möglich, und die Konsequenzen einer solchen Entwicklung sind ernst. Beugen darf man sich ihnen trotzdem nicht. Denn das hieße, Erdogans populistischer Logik auch in Deutschland Geltung zu verschaffen. Die Sorge, seine Anhänger könnten sich von der deutschen Politik abwenden, setzt nämlich implizit voraus, dass Argumente in der Politik nicht mehr zählen, dass sich stattdessen Beleidigtsein und Verärgerung als Gestaltungsprinzipien durchsetzen.

Wer nicht einzusehen vermag oder nicht einsehen will, dass Deutschland nicht zur Wahlbühne türkischer Politiker werden kann, hat ein eigentümliches Verhältnis zu dem Land, in dem er lebt. Im freundlichsten Fall ließe sich sagen, er oder sie fühle sich der alten Heimat weiter verbunden. Die Frage aber, warum er ein autokratisches System befürwortet, dessen Konsequenzen er mit Wohnsitz in Deutschland nicht mitzutragen braucht, ist damit nicht beantwortet. Sehr wohl aber stellt sich die Frage, ob die Loyalitäten, die in dieser Frage zutage treten, Deutschland und der Türkei auf Dauer gut tun.

Die Angst des Staatsmanns vorm Referendum

Doch auf eben diese doppelte oder, je nachdem, gespaltene Loyalität, setzt Erdogan. Wie es aussieht, spekuliert er darauf, seine in Deutschland lebenden Anhänger dem Staat, in dem sie leben, zu entfremden. Gewiss: Es ist schwierig, diesen Entfremdungsprozess zu stoppen. Aber man sollte ihn auch nicht symbolisch unterstützen, indem man Erdogans Truppen hier propagandistisch wirken lässt.

Andererseits besteht auch Anlass zur Entspannung: Dass Erdogan seine in Deutschland lebenden Anhänger so umwirbt, könnte auch ein Anzeichen dafür sein, dass er einen Triumph bei dem Referendum für keineswegs sicher hält, er darum auf jede Stimme angewiesen ist. Gut möglich also, dass die Mehrheit der Türken ihrem Präsidenten im April die rote Karte zeigt und deutlich macht, wie satt sie seinen autokratischen Kurs hat.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika