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Politische Waffe Gas

Cornelia Rabitz28. Dezember 2006

Weißrussland ist ins Visier des Gaslieferanten Gasprom gerückt. Verteidigt Russland lediglich seine wirtschaftlichen Interessen? Einfache Erklärungen reichen nicht aus, mein Cornelia Rabitz.

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Zwischen den einstigen Verbündeten Russland und Weißrussland geht das Jahr 2006 mit Drohungen zu Ende. Vor wenigen Monaten noch hatte die russische Führung der manipulierten Präsidentschaftswahl im kleinen Nachbarland wohlgefällig Beifall gespendet, jetzt scheint es in Moskau und Minsk mit der postsowjetischen Brüderlichkeit vorbei. Ob es ein dauerhaftes Zerwürfnis geben wird oder ob der Spuk in einigen Tagen vorüber sein wird, lässt sich derzeit noch nicht sagen.

In einem Punkt muss man der russischen Seite Recht geben: Gas ist eine kostbare Ressource. Warum also sollte der Staatsmonopolist Gasprom sie zu Vorzugs- oder gar Schleuderpreisen an die einstigen Freunde abgeben? Vieles spricht heute für eine realistische Preispolitik unter marktwirtschaftlichen Bedingungen.

Freilich kommt – ein Jahr nach einer ganz ähnlichen Auseinandersetzung Russlands mit der Ukraine – der Verdacht auf, dass der Rohstoff zu einem Instrument der russischen Außen- und Machtpolitik geworden ist. Hinter Gasprom steht der Kreml. Und hinter den wirtschaftlichen Interessen stehen auch politische. Es geht dabei nicht nur um satte Gewinne, sondern auch um den Wunsch nach totaler Kontrolle der Versorgungskette: Von der Förderung über die Transitleitungen bis zum Endverbraucher in Europa. Man will zudem – wie auch die Auseinandersetzungen mit der Ukraine und Georgien gezeigt haben – unbotmäßige Nachbarn durch energiepolitischen Druck abstrafen. Und schließlich leidet die russische Führung noch immer an den traumatischen Nachwirkungen des verloren gegangenen Großmachtstatus'. "Energie-Großmacht" lautet daher das große außenpolitische Ziel.

Einseitige Energiepartnerschaft

Europa hat mittlerweile die Erfahrung gemacht, dass man in Moskau die Energiepartnerschaft sehr einseitig auslegt. Massiv drängen russische Unternehmen auf die europäischen Märkte, Investoren aus dem Westen dagegen werden die Geschäfte im Energiesektor schwer gemacht – auch unter Verstoß gegen geltende Verträge. Russland ändert die Spielregeln gerne nach eigenem Geschmack und muss sich deshalb zu Recht immer wieder kritische Fragen nach Seriosität und Zuverlässigkeit gefallen lassen.

Und während sich Minsk wie Moskau stur stellen, fragt man sich nach den Auswirkungen des aktuellen Streits. Erodiert das international geächtete und isolierte Regime Lukaschenko aus Mangel an Geld, das der Autokrat stets großzügig an die ihm gewogenen Günstlinge verteilt hat? Steht der Anfang vom Ende Lukaschenkos bevor? Der Präsident wird nun die Propagandamaschine anwerfen, von einem Komplott sprechen und alles im Lande mobilisieren gegen den äußeren Feind. Die gegenwärtige Situation ermöglicht es Minsk, gleichzeitig alte Rechnungen mit dem kritischen Westen Europas zu begleichen. Ein bisschen Drohung mit Lieferstopp erscheint da aus Sicht des Regimes eine willkommene Waffe in der ideologischen Auseinandersetzung mit der EU.

Moskau wiederum darf sich über einen gelungenen Schachzug in seiner aggressiven Gaspolitik freuen: Einmal mehr kann man demonstrieren, dass es die kleinen Staaten sind, die für Unruhe sorgen und sich als Risikofaktoren erweisen. Und nimmt sehr wohl wahr, dass sich die Proteste aus dem Westen in Grenzen halten. Das Regime Lukaschenko ist unbeliebt, Solidarität mit ihm politisch nicht korrekt.

EU kann politisch Einfluss nehmen

Man weiß, dass in Europa auch weiterhin große Mengen Gas und Öl gebraucht werden. Russland verfügt über die Ressourcen und hat ein Interesse an zuverlässigen Lieferungen. Die Sorge, dass man im Westen bald in kalten Wohnzimmern sitzen wird, ist daher unbegründet. Die Abhängigkeit ist also gegenseitig, weswegen es hierzulande keinen Grund gibt zu Hysterie, aber allen Anlass zu mehr Gelassenheit.

Die EU ist zudem nicht so machtlos wie es gelegentlich erscheint. Sie kann politisch Einfluss nehmen, ihr Missfallen über Moskaus Preispolitik kundtun. Offen sollte auch über die Fragwürdigkeit des außenpolitischen Agierens der Energiesupermacht gesprochen werden. Mit wem auch immer gestritten wird: Massiver Druck statt fairer Gespräche, Kompromisslosigkeit statt Augenmaß, Drohungen statt Partnerschaftlichkeit zeugen nicht von staatspolitischer Weisheit. Sie nähren Zweifel und Skepsis.

Die bevorstehende deutsche EU-Ratspräsidentschaft – die auch ein neues Partnerschafts-Abkommen mit Russland verhandeln muss – wird viel zu tun bekommen.