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Schickt Fähren übers Mittelmeer!

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
6. August 2015

Die jüngste Schiffstragödie im Mittelmeer macht deutlich: Die europäischen Rezepte zur Flüchtlingspolitik taugen nichts. Jetzt sind endlich radikalere Ansätze nötig, glaubt Bernd Riegert.

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Lampedusa Triton Patrouillenschiff Viana do Castelo Einsatz Rettungsboot
Bild: DW/B. Riegert

Es ist wieder passiert. Vermutlich 200 Flüchtlinge sind vor der libyschen Küste ertrunken, als ihr überbesetztes Schlepperboot kenterte. Im April waren mutmaßlich 800 Menschen auf gleiche Weise umgekommen. Vor vier Monaten veranstaltete die Europäische Union einen Sondergipfel. Die Staats- und Regierungschefs verabschiedeten ein ganzes Maßnahmenbündel. Die Mittel für die Seenotrettung wurden verdreifacht. Die Mission "Triton" der Grenzschutzagentur Frontex unter Führung der italienischen Küstenwache sollte neue Dramen verhindern. Das ist nicht gelungen. Es ist wieder passiert.

Das Mittelmeer ist die tödlichste Flüchtlingsroute der Welt. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres bezahlten rund 2000 Menschen die gefährliche Überfahrt mit ihrem Leben. Ist es also nicht höchste Zeit für die nächsten Sondergipfel der Europäer? Die EU reagiert in der Sommerpause nur langsam. Was sollte auch ein erneutes Krisentreffen bringen? Eine weitere Steigerung der Seenotrettung wäre vermutlich keine Antwort. Denn die Gewissheit, zumindest eine Chance auf Rettung zu haben, treibt immer mehr Menschen in die seeuntüchtigen Boote der Schlepper.

Legale Überfahrt ermöglichen

Die Europäer müssen früher ansetzen und verhindern, dass die Flüchtlinge sich überhaupt auf die illegale Überfahrt einlassen. Das gelingt nur, wenn die EU legale Wege eröffnet einzureisen und einen Asylantrag zu stellen. In ausgesuchten Häfen Italiens, Spaniens, Frankreichs und Griechenlands müssten Lager für ankommende Flüchtlinge errichtet werden, in denen in relativ kurzer Zeit entschieden wird, ob der Flüchtling in Europa bleiben kann oder nicht. Angenommene Asylbewerber müssten gerecht in der EU verteilt werden. Abgelehnte Bewerber müssten dann konsequent wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren oder abgeschoben werden.

Alle Flüchtlinge aufzunehmen, ist in Europa politisch nicht durchzusetzen. Die Idee der EU-Innenminister solche Aufnahmelager in Nordafrika zu errichten, ist eine rein theoretische Möglichkeit geblieben. Die EU findet dafür keine Partnerländer und es gibt jede Menge praktische und juristische Schwierigkeiten.

Die lebensgefährliche Überfahrt über das Mittelmeer lässt sich nur verhindern, wenn die EU eine Art humanitäre Fährverbindung zwischen Libyen und Sizilien einrichtet. Jeden Tag kommen heute 500 bis 1000 Menschen illegal über das Meer. Eine Fähre der EU könnte die gleiche Anzahl Menschen übersetzen, ohne Gefahr für Leib und Leben. Auf den Weg machen sich die Menschen sowieso. Mit einer Fähre könnte aber den Schleuserbanden das Handwerk gelegt werden. Denn mit einer legalen Reisemöglichkeit entfällt die Geschäftsgrundlage für die Kriminellen. Eine solche Fähre müsste nicht unbedingt in dem gesetzlosen Staat Libyen ablegen, sondern könnte auch in Tunesien oder Ägypten starten. Eine utopische Vorstellung? Aber was ist die Alternative? So weitermachen wie bisher führt zu immer neuen Schiffskatastrophen.

Riegert Bernd Kommentarbild App
Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Abschotten ist auch keine Lösung

Es bestünde die Möglichkeit das "australische Modell" zu verfolgen: kein Asyl mehr zu gewähren und die Seegrenzen der EU völlig abzuschotten. Per Militärblockade könnte die EU gewaltsam verhindern, dass Flüchtlingsboote libysche Hoheitsgewässer überhaupt verlassen. Das wäre ein inhumane Lösung, die vielleicht zu noch mehr Todesopfern führen würde. Der Versuch der EU nach ihrem Sondergipfel im April, wenigstens eine Militäroperation gegen Schleuser zu starten, ist im Ansatz gescheitert, weil es kein UN-Mandat für sie geben wird. Auch das scheint eine Sackgasse zu sein.

Am besten wäre es natürlich, die Menschen müssten weder aus religiösen, politschen oder wirtschaftlichen Gründen aus ihren Heimatländern fliehen. Doch die Fluchtursachen kurzfristig abstellen zu können, ist eine Illusion. Dazu müsste der Krieg in Syrien enden, Eritrea demokratisiert werden und Westafrika einen sprunghaften wirtschaftlichen Aufschwung erleben. Der Einfluss der EU auf diese Faktoren ist begrenzt. Die viel beschworene Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern ist bislang Wunschdenken geblieben. Denn leider scheren sich die Herkunftsländer überhaupt nicht um ihre Bürger, die Richtung Europa aufbrechen. Sie nehmen ihre Verantwortung nicht wahr, sondern laden sie bei der EU ab.

Die EU hat erkannt, dass ihre gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik nicht ausreicht. In einer ungewöhnlich offenen Stellungnahme hat die EU-Kommission alle Staaten, aber auch ihre Bürger aufgerufen, nicht länger Krokodilstränen zu vergießen, sondern zu handeln. Einfache Lösungen gibt es nicht, deshalb muss man jetzt den Mut zu ungewöhnlichen und drastischen Schritten zu haben. Sonst passiert es immer wieder. Immer mehr Flüchtlinge werden auf ihrem Weg nach Europa umkommen.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union