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Politik

Unnötige Provokation auf beiden Seiten

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
1. Juli 2019

Nach der Festnahme der deutschen Kapitänin eines Rettungsschiffs auf Lampedusa stellt sich die Frage, was Protestaktionen wie diese bringen. Indirekt helfen sie Italiens Innenminister Salvini, meint Bernd Riegert.

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Italien Kapitänin Carola Rackete
Kapitänin Rackete muss sich vor der italienischen Justiz verantwortenBild: Reuters/Sea-Watch International

In Deutschland wird die Kapitänin des NGO-Schiffes "Sea-Watch 3" von vielen Politikern und Prominenten, darunter erstaunlicherweise auch der Bundespräsident, als Heldin gefeiert. In Italien hält man sie eher für eine Kriminelle. Was ist richtig? Die Antwort liegt wahrscheinlich in der Mitte.

Das waghalsige Anlegemanöver von Kapitänin Carola Rackete, bei dem sie ein Polizeiboot zumindest beschädigt hat, muss strafrechtliche Konsequenzen haben. Aber ihr Anliegen, einen sicheren Hafen für ihre aus Seenot geretteten Passagiere zu finden, ist auch nicht von der Hand zu weisen. Der italienische Innenminister Matteo Salvini stilisierte Carola Racketes unerlaubtes Einlaufen in den Hafen von Lampedusa zum "einem Akt des Krieges" oder zu Piraterie, was seerechtlich völlig unhaltbar ist. Die Absicht des Vereins "Sea Watch", einer privaten Hilfsorganisation mit Sitz in Berlin, den italienischen Innenminister und seine harte Anti-Migrationspolitik international vorzuführen, ist zunächst einmal gescheitert.

Salvini frohlockt

Der gewiefte Populist Salvini greift die Provokation genüsslich auf und weiß natürlich, wie er den Wählerinnen und Wählern in Italien verkaufen kann, dass er mit der Ablehnung von aus Seenot geretteten Menschen voll im Recht ist. Italien wird in seiner verqueren Interpretation gegen einen Angriff durch ein deutsches Schiff und sogenannte "Gutmenschen" aus Nordeuropa verteidigt.

Riegert Bernd Kommentarbild App
Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Die Kapitänin und die Funktionsträger der Nichtregierungsorganisation hätten wissen müssen, dass sie den politischen Showdown mit Matteo Salvini nicht mit einer solchen Provokation gewinnen können. Indirekt helfen sie dem rechtsradikalen Politiker seine harte, Menschen missachtende Haltung auch innerhalb der EU weiter zu festigen. Jetzt kann man nur hoffen, dass die italienische Justiz das Gebot der Verhältnismäßigkeit beachtet und die Kapitänin höchstens mit einer Geldstrafe belegt, nicht aber ins Gefängnis schickt.

Es ist ja nicht das erste Mal, dass Schiffe privater Rettungsorganisationen festgesetzt werden. Ein anderes deutsches Schiff liegt beschlagnahmt im Hafen von Valletta auf Malta fest. Nicht nur Italien hat seine Haltung gegenüber diese privaten Flüchtlingsrettern, die einst von der EU begrüßt wurden, radikal geändert. Die EU-Staaten setzen insgesamt darauf, Flüchtlinge in Libyen zu halten oder sie, wenn möglich, durch die libysche Küstenwache nach Libyen zurückbringen zu lassen. Ihre eigene Mission "Sophia" außerhalb des libyschen Küstenmeeres hat die EU eingestellt. Man setzt auf Abschreckung.

Unfähige EU

Dass es immer noch einige private Schiffe gibt, die Migranten von Schlauchbooten retten und nach Europa bringen wollen, passt nicht ins Konzept. Die Bemühungen, für diese Fälle ein EU-weites System zur Verteilung zu finden, scheitern seit Jahren am Widerstand der Länder, die nicht direkte Anrainer des Mittelmeeres sind. Die Verteilung gelang für einzelne Schiffe in der Vergangenheit nur durch die spontane Bereitschaft einer Handvoll Staaten, kleine Gruppen von Flüchtlingen aus humanitären Gründen zu übernehmen. Dieser "Flüchtlingsbasar", der da regelmäßig zwischen den EU-Hauptstädten abgehalten wird, ist natürlich kein Dauerzustand, weil nicht kalkulierbar.

Für die Menschen, die noch auf der "Sea-Watch 3" waren, lagen längst Zusagen von fünf Ländern zur Aufnahme vor. Das ganze Drama hätte Innenminister Salvini also vermeiden können. Aber zu seiner Strategie passt es eben, sich als Verteidiger der italienischen Souveränität feiern zu lassen. Jetzt, da die Menschen auf Lampedusa an Land sind, will Salvini sie außerhalb aller europäischen Regeln ohne Feststellung ihrer Identität sofort nach Deutschland, Frankreich, Finnland, Portugal oder Luxemburg weiterschicken. Neuer Zwist ist damit programmiert, den Salvini für seine politischen Zwecke ausschlachten könnte.

Wem hilft das alles?

Zwei Lehren aus dem Fall der "Sea-Watch 3" müssten gezogen werden: Solche spektakulären Protestaktionen bringen in der Sache wenig, sondern nutzen eher den radikalen Migrationsgegnern. Und die Europäische Union muss dringend ein einheitliches Verteilsystem schaffen, um solche Konfrontationen zu vermeiden. Viel Hoffnung, dass das bald passiert, besteht allerdings nicht. Zu verhärtet sind die Fronten innerhalb der EU.

Und, ach ja, da sind ja auch noch die Flüchtlinge oder Migranten, die immer noch versuchen, mit Hilfe von Schleppern Libyen zu verlassen. Deren Schicksal bleibt weitgehend im Dunkeln, weil die EU nach dem Ende ihrer Hilfsmission und den nur noch sporadischen Aktionen der privaten Schiffe gar nicht mehr weiß, wie viele Menschen im Mittelmeer tatsächlich umkommen bei dem Versuch Europa zu erreichen. Das klagt im übrigen nicht irgendwer, sondern der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union