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Kommentar: Showdown in Minsk

Ingo Mannteufel20. August 2014

Der Konflikt im Osten der Ukraine geht in die nächste entscheidende Phase. Ein offener russisch-ukrainischer Krieg ist nicht auszuschließen, meint Ingo Mannteufel.

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Russland Ukrainische Flagge auf Hochhaus in Moskau (Foto: ITAR)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine führen Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Osten der Ukraine - bislang ergebnislos. Die Kämpfe in Donezk und Luhansk nehmen währenddessen an Intensität zu. Und doch gibt es die Ankündigung eines Treffens des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und des russischen Staatschefs Wladimir Putin in knapp einer Woche in Minsk. Der Konflikt steht an einer neuen Schwelle: Die nächsten Tage dürften entscheidend sein, ob aus dem faktischen russisch-ukrainischen Krieg ein offizieller Krieg zwischen Russland und der Ukraine wird.

Kiew setzt auf militärische Lösung

Hinter einer schwierigen Informationslage vor Ort, bewussten Fehlinformationen der Konfliktparteien und der Vernebelung durch diplomatische Floskeln verschwimmen in der öffentlichen Wahrnehmung gegenwärtig etwas die Grundlinien der aktuellen Situation: Die ukrainische Führung hat sich Ende Juni für eine militärische Lösung des Konflikts in Donezk und Luhansk entschieden. Nach vielen zuvor gescheiterten Lösungsversuchen blieb Präsident Poroschenko aus innenpolitischen Gründen kaum eine andere Wahl. Der Abschuss des malaysischen Passagierflugzeuges MH17 – aller Wahrscheinlichkeit nach durch die von Moskau unterstützten Separatisten – hat auch international das Verständnis für diese Politik verstärkt.

Ingo Mannteufel, Leiter der Russischen Redaktion der DW (Foto: DW)
Ingo Mannteufel, Leiter der Russischen Redaktion der DWBild: DW

An einem Waffenstillstand zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die ukrainische Politik nicht interessiert, solange dieser die aktuelle Lage nur einfrieren und den Separatisten eine Atempause geben würde. Das Ziel Kiews ist es offenbar, möglichst bis zum ukrainischen Unabhängigkeitstag am 24. August die Städte Donezk und Luhansk einzunehmen - anscheinend selbst dann, wenn dies zu einer noch größeren humanitären Katastrophe führen könnte. Im Anschluss dürfte Kiew versuchen, die Kontrolle über die gesamte russisch-ukrainische Grenze zurückzuerlangen.

Moskau setzte bislang auf verdeckte Destabilisierung

Über einige von den Separatisten kontrollierte Grenzabschnitte kommt immer wieder Nachschub an Soldaten und Waffen aus Russland. Die russische Politik hat bislang alles daran gesetzt, den Osten der Ukraine zu destabilisieren. Sie will verhindern, dass Kiew die volle Kontrolle über das Donbass-Gebiet zurückerlangt. Damit verfolgt Moskau ein ganzes Bündel an Zielen: Schwächung der neuen ungeliebten Staats- und Regierungsführung in Kiew, Bildung eines separatistischen Konstruktes zwischen der Ukraine und Russland. Dieses Konstrukt könnte sowohl als Puffer zu der politisch nach Westen strebendenden Ukraine dienen, aber zugleich auch als Faustpfand für künftige Verhandlungen über die politische Zukunft der Ukraine gelten.

Doch spätestens seit dem Abschuss von MH17 hat sich die russische Politik als großes Vabanque-Spiel entpuppt: Die USA und auch die Europäische Union haben in ihrer Langzeitwirkung empfindliche Sanktionen gegen Russland beschlossen und damit heftiger reagiert, als es der Kreml vermutlich erwartet hatte. Überhastet hat Moskau mit Gegensanktionen geantwortet, die aber letztendlich die russische Bevölkerung viel heftiger treffen werden als die europäischen Lebensmittelproduzenten. Angesichts der Tatsache, dass sich Belarus und Kasachstan, beide in einer Zollunion mit Russland, an diesen Sanktionen bislang nicht beteiligen wollen, offenbart, wie wenig durchdacht die russische Politik ist.

Krieg oder Frieden in Putins Hand

Der Kreml steht jetzt vor der Entscheidung: Er könnte die Eskalation weiter vorantreiben, also die Unterstützung der Separatisten verstärken und eine humanitäre Katastrophe in der Ostukraine als Vorwand für einen offenen militärischen Einmarsch verwenden, falls die Separatisten endgültig ins Hintertreffen geraten. Für diesen Kurs gibt es in der russischen politischen Elite – vor allem im militärisch-industriellen und nationalistischen Kreisen - durchaus Fürsprecher. Sie erhoffen sich durch die Abschottung Russlands vom Weltmarkt eine Reindustrialisierung Russlands mit Hilfe der seit Jahren gebunkerten Devisenreserven.

Die Alternative wäre, dass Präsident Putin auf eine Politik der Deeskalation einschwingt und den Separatisten faktisch die Unterstützung entzieht. Dies wird er aber nur tun, wenn ihm die Ukraine und die EU einen gesichtswahrenden Weg aus der Krise erlauben. Denn die innenpolitischen Implikationen einer offensichtlichen Niederlage wären für Putin brandgefährlich – sogar gefährlicher als ein offener russisch-ukrainischer Krieg, der in Russland propagandistisch als Friedensmission verkauft werden würde.

Das angekündigte Treffen von Putin und Poroschenko zusammen mit führenden EU-Repräsentanten in Minsk am kommenden Dienstag gibt ein wenig Hoffnung für eine diplomatische Lösung. Dass Angela Merkel zuvor am Samstag zum ersten Mal seit Beginn der Ukraine-Krise nach Kiew reist und dort Präsident Poroschenko vor dem entscheidenden Showdown in Minsk trifft, zeigt, dass auch die Bundeskanzlerin weiß, was gegenwärtig auf dem Spiel steht.