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Politik

Ein lebensgefährliches Wahlkampfthema

23. Februar 2017

Deutschland hat zum zweiten Mal in diesem Jahr abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abgeschoben. Der Bundesinnenminister beharrt darauf, dass es dort "sichere Orte" gebe. Das ist falsch, meint Sandra Petersmann.

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Deutschland Demonstration gegen Abschiebung von Flüchtlingen
Demonstration am Flughafen München gegen die Abschiebung von 18 Afghanen am MittwochBild: picture alliance/dpa/M. Balk

Thomas de Maizière will "behutsam" und "verantwortungsvoll", aber auch "entschlossen" abschieben. Der deutsche Innenminister wähnt sich in bester Gesellschaft. Er verweist darauf, dass auch andere europäische Länder wie Norwegen oder Schweden abgelehnte Afghanen zurückschickten. Doch ein Fehler wird nicht dadurch besser, dass andere ihn auch machen.

UNHCR: keine Unterscheidung möglich

Man spreche ja nicht davon, dass ganz Afghanistan ein sicheres Land sei, "aber es gibt sichere Orte", betonte de Maizère am Montag im Gespräch mit den ARD-Tagesthemen - trotz einer anderen Empfehlung der Vereinten Nationen.  

In einer Einschätzung für das deutsche Innenministerium hielt das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) im Dezember 2016 fest, dass der UNHCR wegen "der sich ständig verändernden Sicherheitslage bei der Feststellung internationalen Schutzbedarfes selbst keine Unterscheidung zwischen 'sicheren' und 'unsicheren' Gebieten vornimmt." Dass de Maizère trotzdem darauf beharrt, ist allein der Bundestagswahl im September geschuldet.

Härte im Wahlkampf

Der Terroranschlag vom Berliner Breitscheidplatz hat vorhandene Ängste vertieft. Die neue Rechtspartei "Alternative für Deutschland" macht Angela Merkels Flüchtlingspolitik dafür verantwortlich. Nationalistische und populistische Stimmen verdrängen Fakten.

Die Bundesregierung will Handlungsbereitschaft und Härte demonstrieren, um Wähler zu gewinnen. Sie hat den Abschiebestopp für Afghanistan aufgehoben, obwohl sich die Sicherheitslage dort dramatisch verschlechtert hat.

Zivile Opfer auf neuem Höchststand

Seit 2009 dokumentieren die Vereinten Nationen die Zahl der getöteten und verletzten Zivilisten in Afghanistan. Im vergangenen Jahr erfasste die UN-Statistik 11.418 getötete oder verletzte Zivilisten - so viele wie noch nie seit 2009. In 31 von 34 Provinzen wurde gekämpft, mehr als 650.000 Menschen flohen aus ihren Heimatdörfern.

Für 2017 rechnen die UN mit etwa einer halben Million weiterer Kriegsvertriebener. Hinzu kommen hunderttausende Afghanen, die aus den Nachbarländern Pakistan und Iran hinausgedrängt werden. Sie kehren in ein Land zurück, in dem sie keine Arbeit und keine Sicherheit finden. Sie kehren in ein Land zurück, in dem immer mehr Menschen zu den Waffen greifen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die Bevölkerung zu schützen. Sie ist zerstritten und komplett vom Ausland abhängig. Die europäischen Länder jedoch machen ihre finanzielle Hilfe von der Rücknahme von Flüchtlingen abhängig.

DW Moderatorin Sandra Petersmann
DW-Redakteurin Sandra Petersmann war bis Ende 2016 ARD-Korrespondentin für Südasien und berichtete dabei auch aus und über AfghanistanBild: DW/Becker-Rau

Zynisches Argument

Im Gespräch mit den ARD-Tagesthemen argumentierte Bundesinnenminister Thomas de Maizère weiter, dass der "Terrorismus der Taliban" sich vom Terror in Europa dadurch unterscheide, dass er sich gegen "Repräsentanten des staatlichen Systems" richte: "Die normale zivile Bevölkerung ist zwar Opfer, aber nicht Ziel der Anschläge - und das ist ein großer Unterschied", sagte de Maizière wörtlich. Das ist ein zynisches Argument.

Nach fast vier Jahrzehnten Dauerkrieg kämpfen heute etwa 20 Terrorgruppen auf dem afghanischen Schlachtfeld. Hinzu kommen Milizionäre, Kriegsfürsten, Polizisten und Soldaten, die keinerlei Rücksicht auf die Bevölkerung nehmen. Die USA fliegen auf Grund der schlechten Sicherheitslage wieder verstärkt Luftangriffe. Auch durch diese Bomben sterben Zivilisten.

Kabul im Visier

Die 43 abgelehnten Asylbewerber, die Deutschland bisher in diesem Jahr abgeschoben hat, landeten in Kabul. Die afghanische Hauptstadt gilt in den Augen der Bundesregierung als sicher.  Dabei ist 2016 die Zahl der zivilen Opfer in Kabul nach Angaben der Vereinten Nationen um 75 Prozent gestiegen. Es gab 16 besonders große Anschläge. Mehr als 300 Zivilisten starben, mehr als 1200 wurden verletzt.

Die Bundesrepublik Deutschland hat grundsätzlich das Recht, abgelehnte Asylbewerber nach einer verantwortungsvollen Einzelfallprüfung abzuschieben. Jedoch im Fall Afghanistan von einer Abschiebung an "sichere Orte" zu sprechen, hält der Realität nicht stand. Zivilisten leben in Afghanistan nicht in Sicherheit.  Es ist beschämend, dass geflohene Menschen zum Spielball deutscher Politik werden.

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