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Politik

Sieg der Gewalt in Chile

Thofern Uta 62 Latin Berlin 201503 18
Uta Thofern
30. Oktober 2019

Nach fast zwei Wochen teils gewalttätiger Proteste hat Präsident Piñera den APEC- und den Klimagipfel abgesagt. Ein Rückschlag für Chile und für Lateinamerika und ein Sieg der Gewalt über die Politik, meint Uta Thofern.

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Chile | Proteste in Santiago
Bild: imago-images/Aton Chile/D. Yankovic

Das ist wahrlich kein Erfolg sozialer Proteste, im Gegenteil. Die Absage der beiden Gipfeltreffen wird nicht dafür sorgen, dass die gerechtfertigten Forderungen der überwiegend friedlichen Demonstranten schneller oder besser erfüllt werden. Auch wenn Chiles Präsident seine Entscheidung so verkauft hat - die Wahrheit ist: Seine Regierung weicht vor der Gewalt einer kleinen, aber brutalen Minderheit zurück. Einer Minderheit, von der sich die Mehrheit der friedlichen Protestierer bisher nicht distanziert hat, und die auch in der medialen Berichterstattung zu wenig Beachtung gefunden hat.

Die vermummten Gestalten, die nicht nur Steine und Stöcke werfen, sondern inzwischen gezielt fast alle Metrostationen in der Hauptstadt Santiago zerstört haben, die Supermärkte geplündert und die Geschäfte ebenso wie mehrgeschossige Häuser mit zahlreichen Menschen darin in Brand gesteckt haben, sie haben gewonnen. Auf ihr Konto geht nach allen bisherigen Informationen der größere Teil der Todesopfer der letzten Wochen und auch ein Großteil der Verletzten. Und nun haben sie es auch noch geschafft, das Bild Chiles in der Welt nachhaltig zu demolieren, seine Wirtschaftsbeziehungen zu schädigen und damit dafür zu sorgen, dass der Wohlstand, der doch gerechter verteilt werden sollte, nun erst einmal sinken wird.

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Uta Thofern leitet die Lateinamerika-Programme der DW

Die Absage der beiden Großveranstaltungen mag der chilenischen Regierung ein paar Einsparungen bringen, aber die mehr als 1,2 Milliarden Dollar Schäden, die die Gewalttäter bereits angerichtet haben, gleicht das nicht aus. Viel schlimmer aber sind die langfristigen Auswirkungen. Wer will noch in einem Land investieren, das einen Wirtschaftsgipfel absagen muss, weil die Sicherheitsprobleme nicht in den Griff zu bekommen sind? Und wer sollte noch einmal auf die Idee kommen, einen Gipfel in Lateinamerika zu veranstalten? Die COP25 bekam erst eine Absage von Brasiliens rechtsradikalem Präsidenten, für den der Klimawandel nicht existiert, dann eine Bewerbung von Costa Rica, die das kleine Land aber nicht allein bewältigen konnte. Und nun Chile.

Kein Grund zur Freude - für niemand

Die Absage der COP mögen hartgesottene Klimaaktivisten sogar begrüßen, stellt sich doch tatsächlich die Frage, ob ausgerechnet für den Klimaschutz jährlich zigtausende Menschen um die Welt fliegen müssen. Allerdings ist die nächste Frage, wer denn die doch so dringliche Umsetzung der Klimaschutzziele in die Hand nehmen soll, wenn nicht die Politik, und was es bringt, einen bereits mit hohen Kosten geplanten Gipfel platzen zu lassen. Für klammheimliche Freude besteht auch bei Klimaschützern kein Grund.

Die Ereignisse in Chile sind vielmehr Grund zur Sorge für alle, die legitime Ziele mit friedlichen Demonstrationen durchsetzen wollen. Denn die Gewalt beschmutzt auch ihr Anliegen, sorgt für Widerstand bei Menschen, die sich prinzipiell vielleicht mit ihren Zielen solidarisieren würden. Chiles Präsident Piñera hat katastrophale Umfragewerte, aber die Ausrufung des Ausnahmezustands und die Ausgangssperre fanden bei einer Mehrheit der Chilenen Zustimmung - und das trotz der Diktaturerfahrung, die einen Militäreinsatz in Chile ganz besonders problematisch macht. Piñera nahm die Maßnahmen zurück, sobald die Demonstrationen friedlicher wurden - mit dem Ergebnis, dass schon am nächsten Tag wieder die Vermummten auftauchten und Gewalt die Bilder der Proteste bestimmte.

Von spontanem Unmut kann keine Rede mehr sein, wenn Demonstranten Brandbeschleuniger bei sich haben, und legitimer Protest hört auf, wo Brandschatzer walten. In Chile hat eine kleine Minderheit gezielt einen Staat lahmgelegt und eine politische Entscheidung erzwungen, die niemandem dient. Wenn so etwas künftig die Regel wird, ist nicht nur das Demonstrationsrecht ernsthaft gefährdet, sondern die Demokratie.

Thofern Uta 62 Latin Berlin 201503 18
Uta Thofern Leiterin Lateinamerika-Redaktionen, Schwerpunkt Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte