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Sturm im Wasserglas

Rolf Wenkel16. April 2014

Die deutsche Wirtschaft weint Krokodilstränen, weil das Qualitätssiegel "Made in Germany" in Gefahr ist. Doch mit dem Aufbau und der Pflege der eigenen Marke wäre sie besser beraten, meint Rolf Wenkel.

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Porträt - Rolf Wenkel
Bild: DW

Ach ja, diese Geschichte wird in Deutschland immer wieder gerne jedem erzählt, der sie hören will: Nach einem 1887 erlassenen britischen Handelsmarkengesetz mussten alle nach Großbritannien eingeführten Waren eine eindeutige Herkunftsbezeichnung tragen. Waren aus Deutschland erhielten deshalb die Bezeichnung "Made in Germany", was damals mindere Qualität signalisieren sollte. Doch was als Schutzmaßnahme für die britische Industrie gedacht war, erwies sich im Laufe der Zeit als Bumerang: "Made in Germany" entwickelte sich zum Inbegriff für Qualität und Zuverlässigkeit.

Von diesem Ruf profitiert die deutsche Wirtschaft auch heute noch. 70 Prozent der deutschen Verbraucher bevorzugen Umfragen zufolge bewusst Produkte "Made in Germany", mehr als die Hälfte ist bereit, dafür auch tiefer in die Tasche zu greifen. Und das gilt nicht nur für Deutschland - auch in allen anderen Regionen dieser Welt hat das Label "Made in Germany" einen exzellenten Ruf, wie eine Umfrage des regierungsnahen Dienstleisters "Germany Trade & Invest" (GTAI) ergeben hat - ob in Russland, Ostasien oder Lateinamerika.

Nach Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGQ) in Frankfurt am Main können deutsche Unternehmen mit "Made in Germany" Preisaufschläge durchsetzen, die ihnen über 100 Milliarden Euro pro Jahr einbringen. Doch von diesen zusätzlichen Einnahmen profitieren nicht nur brave, qualitätsbewusste deutsche Mittelständler, sondern auch Trittbrettfahrer, die Qualität nur vortäuschen, aber nicht liefern.

Deshalb will die EU-Kommission schon seit langem die Herkunftsbezeichnung von Konsumartikeln in einer Richtlinie zur Produktsicherheit europaweit zur Pflicht machen. Das künftige "Made in …" soll sich stärker am Zollrecht orientieren, beschloss nun auch das Europaparlament in erster Lesung. Danach soll der Standort der letzten Verarbeitungsschritte maßgeblich für die Herkunftsbezeichnung von Waren und Gütern werden.

Doch was so plausibel klingt und auch im Interesse der deutschen Wirtschaft sein müsste, stößt auf den erbitterten Widerstand des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Sie alle fürchten mehr Bürokratie, mehr Kosten, und, vor allem, die Abschaffung des Qualitätssiegels "Made in Germany" durch die Hintertür einer so genannten Produktsicherheitsrichtline der EU.

Viel Energie verwenden sie deshalb darauf, in Berlin Stimmung gegen die EU-Kommission und das EU-Parlament zu machen. Tatsächlich ist der Beschluss des Europäischen Parlaments noch lange nicht das letzte Wort in diesem Verfahren. So könnte die Kampagne der deutschen Wirtschaft zum Sturm im Wasserglas werden, denn die Richtlinie muss letztlich noch vom Ministerrat abgesegnet werden. Und dort gibt es einen breiten Widerstand gegen das Regelwerk, unter anderem, wen wundert's, aus Berlin.

Doch mal ehrlich: Was würde denn passieren, wenn einige deutsche Produkte nicht mehr das Label "Made in Germany" tragen dürften? Würde zum Beispiel ein einziger Volkswagen Polo weniger verkauft, weil er "Made in Spain" ist, und nicht Made in Germany? Vermutlich nicht. Denn oft genug ist nicht die Herkunft entscheidend, sondern der Markenname, der dem Kunden das Gefühl gibt, ein gutes und solides Produkt zu erwerben. Volkswagen, BMW, Mercedes - sie alle haben Fertigungsstätten auf vielen Kontinenten, sie alle leben von ihrem guten Namen, sie alle haben ein "Made in Germany" längst nicht mehr nötig.

Und das gilt nicht nur für die Automobilindustrie. In einer globalisierten Welt, in der sich deutsche Ingenieure etwas ausdenken, die Vorprodukte in Asien eingekauft werden und das Ganze in Osteuropa oder Amerika zusammengebaut wird, kann man vermutlich von keinem einzigen Produkt mehr sagen, es sei "Made in Germany". Wozu auch? Der Hersteller, der Markenname wird als Garant für deutsche Wertarbeit zunehmend wichtiger für die Kaufentscheidung als der tatsächliche Produktionsstandort.

Insofern wären die Lobbyisten der deutschen Wirtschaft besser beraten, ihre Energie nicht auf Brüssel und Berlin zu konzentrieren, um Diskussionen von gestern zu führen. Stattdessen sollten sie ihre Energie auf ihre Mitgliedsfirmen verwenden. Und dort muss eine einzige Botschaft ankommen: Baut Qualität, baut euch einen Markennamen auf - dann könnt ihr auf Made in Germany getrost verzichten.