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Symbolisches Urteil

Steiner Felix Kommentarbild App
Felix Steiner
15. Juli 2015

Ob Oskar Gröning wirklich ins Gefängnis muss, ist nicht wichtig. Bei dem Prozess gegen den SS-Mann im KZ Auschwitz ging es um ganz anderes. Und wirklich entscheidend ist die Botschaft des Urteils, meint Felix Steiner.

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Deutschland Oskar Gröning Prozess in Lüneburg
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Es ist eher selten vor deutschen Gerichten, dass das Urteil höher ausfällt, als es von der Staatsanwaltschaft gefordert worden war. Aber im Fall Oskar Gröning ist das eigentlich unerheblich. Denn in Relation zur Tat - der Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen - wirkt die Strafe so oder so lächerlich gering. Ganz gleich, ob sie nun dreieinhalb oder vier Jahre Haft beträgt.

Außerdem: Eine mehrjährige Haftstrafe gegen einen 94-Jährigen zu verhängen, das wirkt ähnlich absurd, wie die Phantasie-Strafmaße von mehr als 100 Jahren Gefängnis, zu denen in vielen Staaten zum Beispiel Serien-Täter verurteilt werden. Und da das moderne Deutschland einen sehr humanen Strafvollzug pflegt, ist es ohnehin mehr als unwahrscheinlich, dass der greise Gröning angesichts seiner labilen Gesundheit überhaupt noch ins Gefängnis muss.

Ehrenrettung für die deutsche Justiz

Die Bedeutung dieses Urteils ist also eine rein Symbolische. Dieses Urteil ist in erster Linie eine Ehrenrettung für die deutsche Justiz. Eine Justiz, die geschafft hat, von den rund 7.000 SS-Leuten, die in Auschwitz Dienst taten, nicht einmal 100 vor Gericht zu stellen. Eine Justiz, die bereits 1977 gegen Oskar Gröning ermittelte, das Verfahren aber 1985 einstellte. Wegen eines Mangels an Beweisen für einen hinreichenden Tatverdacht, wie die Oberstaatsanwaltschaft Frankfurt damals meinte.

Dabei waren bereits in den 1960er Jahren schon viele Auschwitz-Täter namentlich bekannt, die man also in deutlich jüngerem Lebensalter hätte belangen können. Viele, die sich wie Oskar Gröning nicht versteckten, sondern ganz normal in Deutschland lebten und offen über das sprachen, was sie getan und erlebt hatten. Aber niemand in der deutschen Justiz wollte sie anklagen.

Felix Steiner
DW-Redakteur Felix SteinerBild: DW/M.Müller

Was hierfür ausschlaggebend war, wurde erstmals 1987 in einem inzwischen zum Standardwerk aufgestiegenen Buch von Ingo Müller beschrieben: "Furchtbare Juristen - Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz". Detailliert werden darin die Verbrechen der Juristen im Nationalsozialismus analysiert und wie viele der damaligen Täter nahtlos in den Staatsdienst der Bundesrepublik wechselten. Die Lektüre lohnt bis heute.

Die Überlebenden von Auschwitz vor Gericht

Dass das Verfahren gegen Oskar Gröning zu Stande kam und wie es abgelaufen ist, hat zum Teil mit der Tatsache zu tun, dass inzwischen eine neue Generation Richter und Staatsanwälte in Amt und Würden ist. Es ist aber vor allem dem Engagement einiger weniger, zum Teil längst pensionierter Juristen zu verdanken, die bei der Verfolgung der NS-Täter nicht locker lassen. Und die zum Beispiel dafür sorgten, dass bei diesem Prozess deutlich mehr Zeugen gehört wurden, als für die Ermittlung der Schuld von Oskar Gröning benötigt worden wären.

Vor allem in diesem Punkt entfaltete der Prozess seine größte Symbolik: dass den inzwischen ebenfalls greisen Überlebenden von Auschwitz ein vermutlich letztes Mal Gelegenheit gegeben wurde, öffentlich über ihr Leid zu berichten und es vor Gericht zu Protokoll zu geben. Das war vielen von ihnen weitaus wichtiger, als das jetzt verhängte Urteil.

Nie mehr sicher sein

Auch Oskar Gröning selbst hat einen wesentlichen Beitrag zur Symbolik dieses Prozesses geleistet. Anders als viele Angeklagte in früheren NS-Prozessen hat er nichts bestritten und geleugnet, sondern sich klar und eindeutig zu seiner Schuld bekannt. "Auschwitz war ein Ort, an dem man nicht mitmachen durfte" - dieser Satz Grönings in seinem Schlusswort sollte allen Neonazis und Holocaust-Leugnern in den Ohren klingeln.

Die letztlich entscheidende Botschaft dieses Urteils bleibt indessen: Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verjähren nie! Wer daran mitwirkt - und sei es auch nur indirekt - soll sich nie mehr sicher vor Strafe fühlen können!

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