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Syriens Tragödie hat viele Schuldige

15. März 2015

Auch nach vier Jahren Krieg nimmt das Morden in Syrien kein Ende, und der "Islamische Staat" hat den Konflikt noch komplizierter gemacht. Versagt hat nicht nur die internationale Gemeinschaft, meint Rainer Sollich.

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IS-Kämpfer in Syrien (Foto: picture alliance/AP Photo/Raqqa Media Center)
Bild: picture-alliance/AP Photo/Raqqa Media Center

Die Zahlen sind erschreckend und verstörend: Mehr als 210.000 Tote hat der Syrien-Krieg bisher gefordert, darunter 10.000 Kinder - nicht wenige wurden gezielt von Heckenschützen niedergeschossen. Die Hälfte der 23 Millionen Syrer befindet sich auf der Flucht. Knapp zehn Millionen haben nicht genug zu essen, mehr als elf Millionen benötigen dringend Zugang zu sauberem Wasser; zahlreiche Menschen sind verletzt oder verstümmelt, ganze Generationen auf Jahrzehnte hinweg traumatisiert.

Und die internationale Gemeinschaft? Sie sieht weitgehend tatenlos zu, wie das Morden und Vertreiben in Syrien weitergeht. Seit vier Jahren schon. Und es wird nicht besser. Es wird immer komplizierter. Und es wird immer schlimmer für die betroffenen Menschen.

Tötungsmaschinerie auf beiden Seiten

Neben dem Regime von Diktator Baschar al-Assad und seinen Verbündeten in Teheran, Moskau und bei der libanesischen Hisbollah hat sich auf der anderen Seite der Konfliktlinie mit dem sogenannten "Islamischen Staat" (IS) und weiteren sunnitisch-extremistischen Gruppen wie der Al-Nusra-Front längst eine ebenbürtige Tötungsmaschinerie etabliert. Der IS stützt sich auf finanzstarke Unterstützer in der Türkei und den Golfstaaten, massakriert Gegner und Zivilisten - und inszeniert seine barbarischen Menschen-Schlachtungen in perfider Ausnutzung moderner Kommunikationsmittel für die gesamte Weltöffentlichkeit. Dabei wird inzwischen immer häufiger übersehen, dass das mit Fassbomben operierende Assad-Regime und die mit ihm verbündeten Milizen genauso brutal gegen Zivilisten vorgehen und immer noch deutlich mehr Tote auf dem Gewissen haben.

Zu Recht spricht UN-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres von der "schlimmsten humanitären Krise unserer Zeit", zu Recht prangern Medien, Menschenrechts- und Hilfsorganisationen das "Versagen der internationalen Gemeinschaft" an. Dies ist ein Versagen von uns allen, egal ob wir in Deutschland, Russland, in den USA im Iran oder in Saudi-Arabien leben. Denn alle unsere Regierungen, die vielleicht etwas tun könnten - etwa ernsthaftes Vermitteln oder sogar militärisches Einschreiten - tun nichts! Sie tun nichts, weil sie eigene politische oder wirtschaftliche Interessen in der Region haben oder weil sie die unberechenbaren Folgen eines Eingreifens für den Nahen Osten oder sogar für die große Weltpolitik fürchten. Besonders beschämend ist, dass nicht einmal alle internationalen Hilfszusagen eingehalten werden und dass syrische Flüchtlinge, insbesondere in europäischen Ländern, von einem Teil der Bevölkerung als wirtschaftliche Last oder als "kulturell fremd" abgelehnt werden.

Porträt Rainer Sollich, Arabische Redaktion, Deutsche Welle (Foto: DW)
Rainer Sollich, Leiter Arabische RedaktionBild: DW/P. Henriksen

Beschämende Untätigkeit

Es ist nicht falsch, wenn viele Experten meinen, die sogenannte moderate syrische Opposition hätte frühzeitig mit Waffen unterstützt werden müssen. Möglicherweise wäre der Konflikt dann anders verlaufen - doch sicher ist dies nicht. Der syrische Nationalkongress und die sogenannte Freie Syrische Armee - beide zunehmend bedeutungslos - sind in ihrer Gesamtheit zwar keineswegs mit den Massenmördern von Regime und IS gleichzusetzen. Und diejenigen moderaten und klugen Kräfte, die politische Visionen frei von Hass und Konfessionalismus hatten, sind tatsächlich auch nicht ausreichend von den USA und Europa unterstützt worden. Aber sie haben auch selbst politisch versagt. Es ist ihnen vor allem nicht gelungen, in einem ausreichenden Maße die in Syrien lebenden Alawviten und Christen in ihren Aufstand für ein demokratisches Syrien einzubinden.

Al-Assad als "kleineres Übel"?

Viele gemäßigte Oppositionskräfte haben sich auch nicht frühzeitig genug deutlich vom konfessionalistischen Hass des "Islamischen Staates" distanziert, sondern den IS viel zu lange als taktischen Verbündeten gegen Al-Assad betrachtet. Damit tragen sie eine Mitschuld am Erstarken des IS - ebenso wie Al-Assad selbst, der dies allerdings auch von Anfang an beabsichtigt hatte: Der Diktator hatte die Dschihadisten anfangs militärisch verschont, weil sie seinen Zwecken dienten: Nur mit ihrer Hilfe konnte er den "Beweis" erbringen, den er brauchte, damit viele Alawiten, Christen und selbst manche Sunniten sich weiter unter den "Schutz" seines Regimes stellen. Und er hat dank des von ihm faktisch indirekt mit aufgezogenen "Monsters IS" auch erreicht, dass inzwischen selbst im Westen manche Beobachter die Frage aufwerfen, ob Al-Assad nicht möglicherweise doch einen notwendigen Kampf gegen den Terror führe - oder zumindest als "das kleinere Übel" anzusehen sei.

Das ist er keineswegs! Al-Assad ist keinen Deut besser als die Mörderbande des "Islamischen Staates". Er ist vielmehr derjenige, der vor vier Jahren die Eskalation erst heraufbeschworen hatte, indem er friedliche Demonstranten, die für ein demokratisches Syrien protestierten, brutal niederschießen ließ.

Auch Syrer selbst haben versagt

Versagt hat in Syrien aber nicht nur die internationale Staatengemeinschaft. Versagt haben auch die Syrer selbst, beziehungsweise ihre politischen und gesellschaftlichen Führer und Repräsentanten. Sie alle haben sich immer tiefer in einen blutigen Konflikt hineinmanövriert, der - auch dank der Vorgänge im Irak und der gezielten Einflussnahme aus der Golfregion, Ankara und Teheran - inzwischen so konfessionell aufgeladen ist, dass nicht mehr vorstellbar ist, wie die Syrer jemals wieder gemeinsam in einem funktionierenden Staat leben könnten.

Syrien war bis vor vier Jahren ein faszinierendes Land mit einer vielfältigen Kultur - regiert von einer brutalen Dikatur. Dieses Land gibt es nicht mehr. Die Syrer selbst haben es mit Hilfe von ausländischen Verbündeten zerstört und zugelassen, dass ihre Kinder in einem Klima von Hass, Tod und Gewalt aufwachsen, der jeden gesellschaftlichen Ausgleich auf Generationen unmöglich zu machen droht. Und der Rest der Welt sieht weiter zu.