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Kommentar: Biermanns vergnügliche Provokation

Felix Steiner7. November 2014

So eine historische Gedenkstunde hat der Deutsche Bundestag noch nie erlebt: Der Liedermacher Wolf Biermann provozierte gezielt. Linke haben sich geärgert, Konservative haben gelacht. Vorschnell, meint Felix Steiner.

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Feierstunde Bundestag zu 25 Jahre Mauerfall, 07.11.2014, mit Wolf Biermann (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/F. Bensch

Die Wahrheit tut oftmals weh. Und deshalb ist es geradezu logisch, dass das linke Deutschland tobt. Es tobt in Interviews und Twitter-Feeds von Bundestagsabgeordneten der Partei, die sich "Die Linke" nennt. Die aber trotz mehrfach gewechseltem Namen immer noch die Rechtsnachfolgerin der alten DDR-Staatspartei SED ist. Getobt wird natürlich auch im Netz: In den großen Nachrichtenportalen sind die Berichte über Wolf Biermanns heutigen Auftritt im Deutschen Bundestag die am meisten kommentierten. Und auch die am kontroversesten diskutierten.

Biermanns Auftritt in der parlamentarischen Gedenkstunde zum 25. Jahrestag des Mauerfalls war in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Das einfachste und offensichtlichste: Noch nie zuvor war eine historische Gedenkstunde des deutschen Parlaments so witzig und vergnüglich. Das passte insofern ganz hervorragend, als es ja einen der wenigen rundum positiven und schönen Momente der deutschen Geschichte zu würdigen galt.

Der Non-Konformist

Zum anderen: Biermann wäre nicht Biermann, wenn er nur das getan hätte, was sein Auftraggeber, Bundestagspräsident Norbert Lammert, bei ihm bestellt hatte - ein Lied zu singen. Biermann interpretierte den Auftrag so, wie er ihn verstehen wollte. Und begann, in langsamen Worten und mit langen Pausen zu sprechen, als wisse er nicht so genau, was er eigentlich sagen wolle. Eine geradezu köstliche Analogie zur legendären Pressekonferenz des Günter Schabowski vor genau 25 Jahren, die den Deutschen die glücklichste Nacht ihrer Geschichte bescherte. Dann gab der Barde den Wolf Biermann, den seine Fans seit mehr als 40 Jahren kennen und lieben: schlagfertig, bissig, pointiert, respektlos.

Das war denn auch das Ungewöhnlichste: Nicht nur, dass kein Gastredner je so offen den Parlamentspräsidenten zurechtgewiesen hätte. ("Ich habe mir in der DDR nicht das Reden verbieten lassen. Dann werde ich es hier erst recht nicht!") Sondern es wurde auch noch nie zuvor eine Fraktion des frei gewählten deutschen Parlaments so offen und umfassend vom Rednerpult provoziert - nicht durch einen Abgeordneten, sondern einen Gast! Seine "treuen, alten Todfeinde", so der Liedermacher, seien nicht mehr als ein "verkommenes Pack".

Kann das sein? Verträgt sich das mit dem Respekt vor einem der höchsten Verfassungsorgane? Ja! Das kann sein und das müssen deutsche Volksvertreter - in diesem Fall die der Links-Partei - ertragen können. Wann, wenn nicht bei diesem Anlass? Wolf Biermann ist ein Opfer der verbrecherischen Diktatur, die sich in völliger Verdrehung der Tatsachen "Deutsche Demokratische Republik" nannte. Und gewürdigt wurde der mutige Aufstand der Bürger, der diese Diktatur zum Einsturz und damit die Mauer zu Fall brachte. Zwar wurde am Freitag im Bundestag abermals betont, wie wichtig das bundesdeutsche Festhalten an der deutschen Einheit über 40 Jahre gewesen sei. Nur: Eingedrückt wurde die Mauer von Osten, nicht von Westen. So viel Ehrlichkeit muss sein!

DW-Redakteur Felix Steiner (Foto: DW)
DW-Redakteur Felix SteinerBild: DW/M.Müller

Opfer dürfen zornig sein

Den Opfern der DDR muss Raum gegeben werden. Und niemand kann ihnen verdenken, wenn sich ihr Zorn bis heute gegen die "Drachenbrut" richtet, die in der DDR immer noch keinen Unrechtsstaat erkennen kann. Zu diesen Opfern zählt der 1976 von der DDR ausgebürgerte Liedermacher Wolf Biermann genauso wie der frühere Pfarrer und heutige Bundespräsident Joachim Gauck. Bereits Anfang dieser Woche erregte sich die Linke über den Bundespräsidenten, weil der sein Missfallen bekundete über die Bildung einer rot-rot-grünen Landesregierung in Thüringen unter der Führung eines Ministerpräsidenten der Linken. Biermanns vergnügliche Kritik richtete sich jedoch nicht nur an die Linken: Sie sollte vor dem Hintergrund der Koalitionsverhandlungen in Thüringen den Abgeordneten der SPD und der Grünen genauso in den Ohren klingeln.

Die Konservativen hatten bei dieser Gedenkstunde viel Spaß: Das Lächeln der Bundeskanzlerin, als sie Biermann zum Ende seines Auftritts begeistert die Hand schüttelte, sprach Bände. Dennoch sollte man CDU-Ortsverbänden selbst in Thüringen weiterhin dringend abraten, Biermann zu Grillfesten der Partei zu buchen: Es könnte sein, dass er dort böse über die lästert, die auf kommunaler Ebene keinerlei Hemmungen haben, mit der ehemaligen SED bzw. heutigen Links-Partei Koalitionen einzugehen. Und wer ist das? Vielfach eben auch die CDU!