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Wider den Exportwahn

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Rolf Wenkel
12. August 2016

Deutschlands Wirtschaft ist im ersten Halbjahr robuster als erwartet gewachsen. Trotzdem warnen erste Stimmen vor zu hohen Löhnen und nachlassender Wettbewerbsfähigkeit. Das ist übertrieben, meint Rolf Wenkel.

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Hannover Porsche 911 Turbo S wird poliert
Bild: picture-alliance/dpa/P. Steffen

Das Statistische Bundesamt hat am Freitag eine Zahl veröffentlicht, die Laien als mickerig empfinden mögen, Fachleute aber durchaus verblüfft: Das Bruttoinlandsprodukt ist im zweiten Quartal gegenüber dem ersten Quartal, bereinigt um saisonale und kalendarische Einflüsse, um 0,4 Prozent gestiegen. Diese Wachstumsrate hat die Erwartungen der meisten Volkswirte übertroffen, die höchstens mit der Hälfte, also 0,2 Prozent, gerechnet hatten.

Das ist für Fachleute in der Tat überraschend. So sehr, dass einige Ökonomen gleich ihre Prognose für das gesamte Jahr nach oben revidiert haben, wie zum Beispiel Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, der jetzt mit stolzen 1,8 Prozent statt 1,5 Prozent für das Gesamtjahr rechnet.

Das ist schon toll: Seit fast acht Jahren zeigen die Pfeile für die deutsche Wirtschaft nach oben. Und das, obwohl es so aussieht, als gerate die Welt ringsum aus den Fugen: Flüchtlingsströme, Terroranschläge, Brexit - das alles paart sich mit den trüben Aussichten für die Weltwirtschaft, dem stotternden Wachstumsmotor China und den Krisen in der Türkei, in Russland und Brasilien.

Nur der Konsum brummt

Die Verbraucher in Deutschland allerdings lassen sich von diesen Gefahren nicht beeindrucken. Im Gegenteil: Sie haben sich zur wichtigsten Stütze der Konjunktur entwickelt. Wenig trägt derzeit neben dem privaten Konsum zum Wachstum bei: Der Export entwickelt sich wegen der Krisen in den Schwellenländern eher kraftlos, Unternehmen und Staat weigern sich zu investieren - nur der Konsum brummt.

Was natürlich am robusten Arbeitsmarkt hierzulande liegt, an der steigenden Beschäftigung, an deutlich höheren Lohnabschlüssen bei gleichzeitig nur geringer Preissteigerung. Hinzu kommen die ultra-niedrigen Zinsen. Wenn das Geld auf der Bank kaum noch etwas bringt, kann man es lieber gleich ausgeben - oder Anschaffungen auf Pump tätigen, nach dem Motto: Wann einen Kredit aufnehmen, wenn nicht jetzt?

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DW-Wirtschaftsredakteur Rolf Wenkel

Weil aber alles nicht so schön sein darf, wie es momentan aussieht, finden sich schon erste Ökonomen, die ein Haar in der Suppe gefunden haben. Nach dem Lehrbuch verläuft ein Konjunkturzyklus in drei Phasen: Zuerst profitieren die Exporteure vom florierenden Geschäft mit dem Ausland. Der Exporterfolg erreicht dann die Binnenwirtschaft, weil die Unternehmer investieren. Von diesem Investitions- und Exportboom profitieren zum Schluss auch die Arbeitnehmer in Form von sicheren Arbeitsplätzen und steigenden Löhnen. Der Wermutstropfen: Der Konsumboom ist laut Lehrbuch traditionell Höhepunkt und Ende eines Konjunkturzyklus.

Warnung vor zu hohen Löhnen

Zudem ist Deutschland nach Ansicht vieler Ökonomen gerade dabei, seine Wettbewerbsvorteile zu verspielen. Seit dem Jahr 2000 haben die Arbeitnehmer rund eine Dekade lang durch den Verzicht auf Lohnerhöhungen Deutschland zum wettbewerbsfähigsten Land in Europa gemacht. Eine Dekade lang hat Deutschland einen Exporterfolg nach dem anderen erzielt, weil es trotz gemeinsamer Euro-Währung intern abgewertet und so die Lohnstückkosten gesenkt hat.

Die aber steigen in Deutschland wieder, und zwar schon seit sechs Jahren in Folge. "Unter der glänzenden Oberfläche erodiert die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft", erklärt Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer in der "Welt". Die Entwicklung sei genauso dramatisch wie jene, die Italien in den ersten zehn Jahren nach Einführung des Euro gemacht habe: Damals seien die italienischen Lohnstückkosten im europäischen Vergleich genauso stark gestiegen.

Zudem sei die Politik dabei, die vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder durchgesetzten Arbeitsmarktreformen und die dadurch gewonnenen Wettbewerbsvorteile durch wohlfeile Geschenke zu konterkarieren: Mindestlohn, Rente mit 63, Einschränkungen bei der Zeitarbeit - Ökonom Krämer erwartet, dass all diese Entscheidungen die deutschen Unternehmen in einigen Jahren erheblich belasten werden.

Googeln lohnt sich

Trotzdem sind solche Warnungen übertrieben. Jahrelang haben deutsche Wirtschaftsvertreter so getan, als hinge das Wohl und Wehe der deutschen Wirtschaft einzig und allein vom Export ab, war ein kräftiger Außenhandelsüberschuss das Maß aller Dinge. Jahrelang haben Arbeitnehmer durch Lohnverzicht diese Exporterfolge erst ermöglicht. Und: Jahrelang mussten wir uns deshalb Vorwürfe aus dem Ausland anhören, Deutschland zerstöre mit seiner einseitigen Exportfixierung das Gleichgewicht in Europa.

Vielleicht lohnt es sich deshalb, noch einmal nach Artikel 109 Absatz 2 des deutschen Grundgesetzes zu googeln. Dieses Gesetz, im Volksmund "Stabilitätsgesetz von 1967" genannt, formuliert immer noch als Staatsziel das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht. Danach soll der Staat für hohe Beschäftigung, stabile Preise und angemessenes Wachstum sorgen. Und - das ist die vierte Ecke des so genannten magischen Vierecks - ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht anstreben. Im Grunde müsste man die Exportideologen daran erinnern, dass sie es sind, die gegen das in der Verfassung verankerte Stabilitätsziel verstoßen - und nicht unbedingt diejenigen, die sich für höhere Löhne und Gehälter stark machen.

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