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Klima-Abgabe light?

Richard A. Fuchs, Berlin 26. Juni 2015

Deutschland hinkt bei seinen Klimaschutzzielen hinterher. Erst sollte eine Klima-Abgabe helfen, dreckige Braunkohlekraftwerke abzuschalten. Jetzt favorisiert der zuständige Minister ein umstrittenes Alternativmodell.

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Ob hier bald noch Treibhausgase rauskommen dürfen, darum wird in Deutschland gerade gerungen. Jobs oder Klimaschutz - oder gibt es am Ende doch beides?
Bild: imago/Westend61

Während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beim G7-Gipfel in Bayern die Staats- und Regierungschefs der führenden Industrienationen auf mehr Klimaschutz einschwor, herrscht in Deutschland bei diesem Thema Ernüchterung. Wird die Regierung nicht aktiv, dann verfehlt das Land sein international hochgelobtes, ambitioniertes Ziel, bis 2020 40 Prozent weniger Treibhausgase auszustoßen als 1990. Anfang des Jahres preschte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) deshalb mit einem Vorschlag vor, wie Deutschland die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei seinen Klimaschutzzielen schließen könnte.

Über Woche liefen Unternehmen, Kohlekumpel und Gewerkschaften Sturm, weil Gabriel mit einer Klima-Abgabe besonders klimaschädliche Braunkohlekraftwerke aus dem Markt drängen wollte, um so im Hauruck-Verfahren 22 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß bis 2020 einzusparen. Just jene 22 Millionen Tonnen, die fehlen, um Deutschlands 40-Prozent-Ziel auch tatsächlich zu erreichen. Weil das im Gegenzug aber Arbeitsplatzverluste im Braunkohle-Tagebau und bei Energiekonzernen bedeuten würde, wuchs der Widerstand in den letzten Wochen an.

Klima-Abgabe verdrängt klimaschädliche Kraftwerke vom Markt

Hitzige Wortgefechte folgten, bis es zuletzt sogar hieß, Gabriel habe seinen Vorschlag der Klima-Abgabe beerdigt – um Jobs nicht zu gefährden. Gabriel dementierte das am Mittwoch bei einem Auftritt vor Vertretern der Energie- und Wasserwirtschaft in Berlin. Kämpferisch ließ er wissen, dass über die Einführung einer Klima-Abgabe weiter nachgedacht werde. Er sei davon überzeugt, dass dieses Instrument den Ausstoß von Treibhausgasen "effizient und kostengünstig" bewerkstellige, ohne das ganze Braunkohle-Kraftwerke stillgelegt werden müssten. Energiekonzerne, Beschäftigte und Gewerkschaften der Branche sahen das naturgemäß anders. Bei mehreren Großdemonstrationen warnten sie vor dem Verlust zehntausender Arbeitsplätze. Ein Szenario, das Energieexperte Hans-Joachim Ziesing im DW-Interview als reine Schaukulisse einer Lobbyschlacht kritisiert. "Die Diskussion um hundertausende Beschäftigungsverluste ist dramatisch übertrieben". Wirtschaftsminister Gabriel sah sich dennoch genötigt, mit Vertretern von Bergbau-Gewerkschaften hinter verschlossenen Türen einen Alternativvorschlag auszuarbeiten – was erst jetzt öffentlich wurde.

Sitzt zwischen allen Stühlen: Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel
Sitzt zwischen allen Stühlen: Wirtschaftsminister Sigmar GabrielBild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini
5,5 Millionen CO2 sollen weg, indem alte Heizungen erneuert werden. Ein neuer Plan, der bereits seit zehn Jahren nicht wirklich vorankommt
Abgedreht? 5,5 Millionen CO2 sollen weg, indem alte Heizungen erneuert werden. Ein neuer Plan, der bereits seit zehn Jahren nicht wirklich vorankommtBild: imago/Westend61

Alternativmodell: Klimaschädliche Kraftwerke nur noch als Reserve

Das Alternativmodell sieht vor, dass klimaschädliche Braunkohlekraftwerke mit einer Leistung von 2,7 Gigawatt vom Netz genommen werden, um dann weitere vier Jahre als Reservekraftwerke bereitzustehen. Weil diese Kraftwerke nur noch im Notfall Strom produzieren, würden so zwischen 12 und 14 Millionen Tonnen CO2 eingespart, laut Modellrechnung. Daneben sollen auch einige Steinkohlekraftwerke, die bisher Strom und Wärme gleichzeitig produziert haben, durch moderne Gaskraftwerke ersetzt werden. Dieser Modernisierungs-Schub im Bereich der sogenannten Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerke (KWK), könnte dann weitere vier Millionen Tonnen Treibhausgase einsparen helfen.

Die restlichen fünf Millionen Tonnen CO2-Einsparung sollen in diesem Modell durch eine Vielzahl kleinteiliger Maßnahmen erreicht werden. Es solle neue Programme für den Austausch alter Heizkessel geben, ebenso wie Energieeffizienz-Anreizprogramme für Städte und Gemeinden. Der Haken, sagt auch der Minister selbst: Viele dieser CO2-Einsparungen lassen sich nur durch zusätzliche Mittel aus der Staatskasse realisieren – was das zweite Modell deutlich teurer macht. Energieexperte Hans-Joachim Ziesing rät dem Minister im DW-Interview daher, an seinen ursprünglichen Vorstellungen festzuhalten. "Die Klima-Abgabe zielt langfristig darauf ab, die besonders ineffizienten und besonders emissionsintensiven Kraftwerke vom Netz zu nehmen - und das gelingt glaube ich auch relativ vernünftig mit diesem Konzept."

DIW: Alternativmodelle sind teuer und funktionieren nicht

Unterstützung auch von Seiten der Wissenschaft. Eine in Berlin vorgestellte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) legt nahe, dass ein Verzicht auf die Klima-Abgabe den Klimaschutz deutlich "teurer und ineffektiver" machen würde. "Die Einführung einer weiteren Kraftwerksreserve ist nicht zielführend", sagt DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert. Die Studie wurde im Auftrag der grün-nahen Heinrich-Böll-Stiftung und der European Climate Foundation erstellt, und rechnet verschiedene Modelle durch, wie Deutschland am kosteneffizientesten die Lücke bei den CO2-Einsparungen im Stromsektor schließen könnte.

DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert rechnet dem Minister vor: nur die Klimaabgabe funktioniert wirklich
DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert rechnet dem Minister vor: nur die Klimaabgabe funktioniert wirklichBild: picture-alliance/dpa

Während die Klima-Abgabe nach Berechnungen des DIW gegenüber dem "Business-as-Usual"-Szenario sogar 26 Millionen Tonnen CO2 bis 2020 einsparen könnte, kommt das DIW für das jetzt vorgestellte Alternativmodell nur noch auf eine Reduktionsmenge von 18 Millionen Tonnen. Auch das DIW rechnet nicht damit, dass die Klima-Abgabe zu Massenentlassungen in der Kohlewirtschaft führe. Es werde vor allem die Auslastung reduziert, so das Institut. Energieexperte Hans-Joachim Ziesing hält das Alternativmodell für Stückwerk. Denn klimafreundliche Gaskraftwerke auszubauen, Städte und Gemeinden energieeffizienter zu machen und Heizungsanlagen auszutauschen, das seien alles Maßnahmen, "die man sowieso machen sollte."

Hier wird Strom produziert - und die Abwärme als Heizenergie genutzt: Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerk
Hier wird Strom produziert - und die Abwärme als Heizenergie genutzt: Kraft-Wärme-Kopplungs-KraftwerkBild: GZB

Am 1. Juli soll Showdown bei der Klima-Abgabe sein

Die Antwort, sie könnte am 1. Juli kommen. Dann dürfte beim Treffen der Regierungskoalition klar werden, welches der beiden Modelle sich tatsächlich durchsetzt. Nicht wenige befürchten allerdings, dass der Showdown ausbleibt. Das wäre dann die Variante "Klima-Abgabe light".