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Reha ist nach schweren COVID-19-Verläufen sehr komplex

12. Juni 2020

Weil COVID-19 unterschiedliche Organe betrifft, müssen viele Fachärzte interdisziplinär und gemeinsam die Rehabilitation der Patienten unterstützen, sagt Lungen- und Herzzfacharzt Andreas Dösch.

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Eine Physiotherapeutin behandelt einen Patienten
Physiotherapie kann eine von vielen Reha-Maßnahmen nach einer überstandenen Corona-Infektion sein. Bild: Fotolia/Kzenon

Deutsche Welle: Herr Prof. Dösch, Sie behandeln in Ihrer Klinik unter anderem auch COVID-19 Patienten, die einen sehr schweren Krankheitsverlauf überlebt haben. Was ist das besondere an der Rehabilitation dieser Patienten?

Andreas Dösch: Das Besondere an der COVID-19 Erkrankung ist, dass sie nicht nur die Lunge betrifft. Es handelt sich um eine Multisystem-Erkrankung und wir lernen da auch jeden Tag noch neu hinzu. Auch wenn bei vielen Patienten die Lungensymptomatik führend ist, sind es beispielsweise auch Patienten, bei denen das Herz betroffen ist. Oder es treten neurologische Komplikationen, Nierenveränderungen oder Hautkomplikationen auf.

Das erfordert einen sehr intensiven Kontakt zwischen Ärzten und Patient. Das heißt, die Patienten müssen interdisziplinär von verschiedenen Fachärzten betreut werden. Das ist ein hoher Aufwand, weil man den Patienten in seiner Gänze verstehen muss. 

Asklepios Klinik Bad Salzungen | Andreas Dösch, Lungenarzt & Kardiologe
Der Lungenarzt und Kardiologe Andreas Dösch legt Wert darauf, den Patienten im Ganzen bei der Reha zu unterstützen. Bild: Asklepios Klinik Bad Salzungen

Die Patienten haben diese schwere Krankheit in der Intensivstation überlebt, waren zum Teil für mehrere Tage im Koma und dann kommen sie nach einer ersten Heilungsphase zu Ihnen und müssen wieder ganz grundlegend aufgebaut werden. Wo fangen Sie da an?

Die Patienten erhalten, bevor sie zu uns kommen, schon eine Frühmobilisation im Rahmen des Intensivverlaufes und gegebenenfalls danach auf der Überwachungsstation. Wir sehen die Patienten nach der Entlassung aus dem Akutkrankenhaus.

Damit wir mit den Patienten effektiv gemeinsam arbeiten können, müssen bestimmte Mindestbelastungskriterien erfüllt sein. Einige der Patienten bekommen immer noch Sauerstoff und wir müssen dann sehr genau mit den Patienten besprechen, was wir ihnen zutrauen können und womit wir anfangen.

Im Vordergrund steht klar die Verbesserung der Atemnot. Wir versuchen die Kraft der Atemmuskulatur zu steigern und die allgemeine Belastbarkeit zu verbessern.

Und dann müssen die Patienten sich wieder langsam an ihr normales Leben herantasten?

Wir haben natürlich als Fachklinik für Lungenrehabilitationspatienten schon viel Erfahrung mit schwerkranken pneumologischen Patienten. Man darf sich aber auch nicht vorstellen, dass es durchgehend sehr kranke Patienten sind. Die Verläufe sind sehr unterschiedlich.

Deutschland: 93-Jähriger überlebt Covid-19

Die Infektion kann von einem asymptomatischen Verlauf bis hin zu einer Behandlung auf der Intensivstation alle Ausprägungen annehmen. Das wichtigste ist, dass wir unsere Maßnahmen auf den einzelnen Patienten abstimmen. Dazu gehört, dass man erfasst, was der Patient leisten kann. Nicht alle sind bettlägerig, sondern einige sind vielleicht schon auf der Station mobil oder können auch schon eine oder zwei Treppen steigen. Das müssen wir bei der Wahl der Maßnahmen anpassen.

Wir haben beispielsweise auf den Patienten abgestimmte Bewegungsprogramme – von der Einzelgangschule, wo Patienten erst einmal wieder lernen, das Gleichgewicht zu halten, bis hin zum Sequenztraining, also einer eher sportlichen Bewegungstherapie.  Das muss man auf den Allgemeinzustand beziehen. Auch die Atemgymnastik bieten wir in verschiedenen Leistungsstufen an. Das stellen wir individuell für den Patienten zusammen.

Neben der Lunge, was kann die Reha für die anderen betroffenen Organe tun?

Im Rahmen der Aufnahmeunterschung muss auch das Herz-Kreislaufsystem untersucht werden. Dazu gehört dann ein Belastungs-EKG und eine Ultraschallkardiographie. Im Labor überprüft man Blutproben auf bestimmte Herzenzyme oder -werte, die uns etwas über die Herzbelastung mitteilen.

Corona-Tagebuch einer Risikopatientin

Dann können wir therapeutisch etwas zur Verbesserung des Blutdruckes veranlassen. Der Bluthochdruck ist schließlich - neben Diabetes mellitus und bestimmten Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen, Nierenerkrankungen oder Krebs - auch ein Risikofaktor für schwere COVID-19 Verläufe. Auch Adipositas, also Fettleibigkeit, gehört dazu. Wir versuchen also den Patienten in seiner Gänze zu verstehen und zu behandeln.
Das kann von einer Blutdruck-Einstellung bis zu einer ernährungsmedizinischen Beratung oder Therapien zur Gewichtsreduktion reichen. Auch etablierte Raucherentwöhnungskonzepte können dazugehören. All das macht die Behandlung sehr komplex. Es setzt nicht nur ärztliche Expertise voraus, sondern auch geschulte Physiotherapeuten, Diätassistenten oder Logopäden spielen dabei eine wichtige Rolle.

Bei COVID-19 sind ja auch typische Geruchs- und Geschmacksstörungen als Symptome beobachtet worden. Diese versuchen wir ebenfalls zu behandeln, durch Mitbetreuung von Hals-Nasen-Ohren-Ärzten.

Wie lange dauert solch eine Rehabilitation?

Es mag von drei bis sechs Wochen dauern, je nachdem, welche Fortschritte der Patient gemacht hat, welche Vorerkrankungen er mitbringt und wie sich der Verlauf gestaltet. Wir haben bisher etwa 30 Corona-Patienten hier im Hause betreut. Der überwiegende Teil von ihnen – weit über 80 Prozent – haben im Laufe der Rehabilitation eine deutliche Verbesserung der Symptomatik gezeigt.

Wenn die Menschen entlassen werden, drohen ihnen dann noch Corona-spezifische Langzeitfolgen?

Gewisse Veränderungen der Lunge sind wahrscheinlich dauerhaft. Es gibt auch Hinweise, dass die Herzschädigung dauerhaft sein kann. Und auch die neurologischen Begleiterkrankungen können sich dauerhaft gestalten. Allerdings wissen wir einfach noch nicht genug, um den Verlauf der Langzeitfolgen sicher vorhersagen zu können. 

Sehr häufig haben wir es mit thrombotischen Veränderungen zu tun. Eine Lungenembolie etwa ist sehr häufig im Krankheitsverlauf festzustellen, und die kann Spätfolgen haben. Das wissen wir auch vom normalen Verlauf einer Lungenembolie.

Was die Krankheit so schwer berechenbar macht, ist die Tatsache, dass es eben nicht nur die Lungenembolie ist, sondern es kann auch eine Verschlechterung der Nierenfunktion sein. Dann müssen die Patienten regelmäßig zur Dialyse. Auch neurologische Schäden können synchron auftreten. Dieser Multi-System-Befall macht die Nachsorge dieser Erkrankung so komplex.

Was können die Menschen später noch für ihre Gesundheit tun?

Zuhause ist es wichtig, dass die Patienten weiterhin Unterstützungsangebote nutzen. Das können Bewegungsprogramme sein. Unter Umständen ist eine Nachbetreuung niedergelassener Thrombologen [ auf die Verhinderung von Blutgerinsel spezialisierte Fachärzte ] oder Lungenfachärzte nötig. Es ist unheimlich wichtig, dass die Nachsorge hier auch strukturiert erfolgt.

Und auch die psychologische Betreuung ist ein ganz wichtiger Bestandteil der Corona-spezifischen Rehabilitationsmaßnahmen. Einige Patienten sind zum Beispiel in einem Krankenhaus intubiert [unter Narkose künstlich beatmet] worden und in einem anderen Krankenhaus – meist einer Uniklinik – wieder aufgewacht. Die lag zum Teil auch räumlich in einer größeren Entfernung.

Dieser sehr schwere Verlauf geht an ganz wenigen Patienten spurlos vorbei. Da ist es sehr wichtig, mit dem Patienten im Einzelgespräch zu klären, welche Unterstützungsmaßnahmen er zuhause auch noch weiter braucht.

Aus Ihrer Erfahrung mit den Krankheitsverläufen, was sollte jeder beachten? 

Meine Empfehlung ist, die Krankheit wirklich ernst zu nehmen und die empfohlenen Schutzmaßnahmen und Kontaktbeschränkungen zu respektieren. Sehr viele Patienten, die ich betreue, sind gegenüber der Erkrankung sehr demütig geworden.

Wir haben nicht nur Risikopatienten im Haus, sondern auch einige junge, mitten im Leben stehende Menschen ohne Vorerkrankungen.  Es ist extrem wichtig, dass wir den Krankheitsverlauf auch weiterhin so glücklich kontrollieren können wie bisher. Aber dazu ist es wichtig, die geltenden Empfehlungen auch umzusetzen.

Prof. Dr. Andreas Dösch ist Chefarzt für Innere Medizin, Kardiologie und Pneumologie an der Asklepios Klinik in Bad Salzungen. Er befasst sich schwerpunktmäßig mit der Rehabilitation von Patienten, die an der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) oder an Lungenkrebs erkrankt waren. Seit Beginn der Corona-Pandemie hat er auch zahlreiche Patienten mit COVID-19 behandelt. Weiterhin befasst sich Dösch mit Sozialmedizin, Ernährungsmedizin und Störungen des Fettstoffwechsels. 

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Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen