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Beispiel Kongo: Der Teufelskreis zwischen Armut und Hunger

6. November 2011

Hunger ist ein Armutsproblem. Besonders arm sind die Menschen in den am wenigsten entwickelten Ländern. Dramatisch ist die Situation beispielsweise in der Demokratischen Republik Kongo.

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Elimu Kwa Wote Schule in Bukavu/Ostkongo (Foto: Dagmar Wittek)
Satt durch Hilfe von außen - Schulkinder im OstkongoBild: Dagmar Wittek

Ein Baby baumelt in einem blauen Leinensack. Es schreit hysterisch nach seiner Mama. 6,5 Kilogramm notiert die Ernährungsberaterin. "Hervorragend, aber noch immer weit unter der Norm", sagt sie. Das Baby mit riesig wirkendem Kopf und faltiger Haut ist 18 Monate alt und sollte eigentlich rund 11 Kilogramm wiegen Aber als es hier vor einem Jahr im ostkongolesischen Bukavu ankam, wog es gerade mal noch 1,8 Kilogramm und hatte zudem Malaria. "Dass der Säugling überlebt hat, ist ein Wunder", urteilt die Ernährungsexpertin des Uzima Centres, Nicole Bahati. Aber das Krankenhaus und schließlich der mit Mineralien und Vitaminen angereicherte "Powerbrei" des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen hätten dem Baby eine zweite Lebenschance gegeben.

"Sie hier", erklärt die resolute Bahati, "wird immer die Folgen der Unterernährung spüren". Bahati schiebt ein zierliches Mädchen in einem fleckigen, einst weißen Leinenhemd an die Messlatte. Sie ist für ihre 14 Jahre viel zu klein. "Ein Zeichen ständiger Mangelernährung", so Bahati und stellt die rhetorische Frage: "Welche Chancen wird dieses unterentwickelte Mädchen haben?", denn ihr Gehirn hat nicht ausreichend Nährstoffe erhalten, die für eine normale Entwicklung nötig gewesen wären. Wie es ihren vier Geschwistern ergeht, kann man sich ausmalen, nachdem die hochschwangere junge Mutter des Mädchens ihre Geschichte erzählt hatte.

Überfälle von Milizen

"Nsimire wurde immer schwächer, sie hatte Durchfall und Fieber, ihr Körper war aufgedunsen", berichtet Esperance Ngabo über ihre Tochter. Daher entschied sie, sich mit ihr zu Fuss und per Anhalter in die Hauptstadt der Provinz Süd Kivu zu begeben. In einer Region wie dem Osten der Demokratischen Republik Kongo kann dies auf schlammigen und kaum als Straßen zu identifizierenden Pfaden eine gefährliche Tortur von mehreren Tagen sein. Ihre anderen Kinder hat sie bei ihrer Schwester im 150 Kilometer entfernten Bergdorf gelassen. Sicher seien sie dort nicht. Immer wieder überfallen und plündern Milizen Dörfer in ihrer Region. Dort sei sie auch vergewaltigt worden, als ihr Mann gerade nicht Zuhause war, erzählt Ngabo mit leiser Stimme. Als er davon erfuhr, verließ er sie.

"Ich habe keine Hoffnung mehr", seufzt sie. Schwanger ist sie nun von einem anderen Mann, der aber kürzlich verstorben sei, so die zierliche Frau ohne jegliche Emotion. Um etwas Geld ranzuschaffen, verdingt die 30-Jährige sich hier in der Stadt als Trägerin von Kohle, Zuckerrohr und anderen Waren. Für wie lange, das weiß sie noch nicht. Sie ist erst vor ein paar Monaten hergekommen. Ihr Leben ist von Krieg, ständiger Flucht vor Rebellen, Soldaten und Milizen geprägt.

Der Osten der Demokratischen Republik Kongo befindet sich seit 1996 im immer wieder so genannten "afrikanischen Weltkrieg“, in dem die Nachbarstaaten Burundi, Uganda und Ruanda mit Rebellengruppen und Militärs kräftig mitmischen. 2002 wurde zwar ein Friedensabkommen unterzeichnet und seit 2009 integriert die kongolesische Armee Rebellen und Milizen, aber von Stabilität ist die Region weit entfernt.

Ich merke nichts vom Frieden

"Alle sagen, jetzt herrscht Frieden. Ich merke nichts davon", sagt Ngabo, während sie in dem kahlen Raum des kleinen Uzima Ernährungszentrums der Vereinten Nationen darauf wartet, dass ihre Tochter ihre tägliche Portion zum Aufpäppeln gegessen hat. Ihr Feld im kleinen Bergdorf hat sie seit Jahren nicht bestellt. Weil sie nie weiß, ob sie zur Ernte noch dort sein wird oder ob sie wieder einmal vertrieben wird von plündernden Soldaten, Rebellen oder Milizen und in den Busch flüchten muss. Für Ngabo herrscht Krieg an allen Fronten.

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) schlug kürzlich Alarm: Rund 1,4 Millionen Kinder unter fünf Jahren sind akut unterernährt und allein in den drei ostkongolesischen Provinzen Nord- und Süd-Kivu sowie Maniema weiß die Hälfte der Bevölkerung nicht, wo sie ihre nächste Mahlzeit herbekommen soll. Insgesamt stecken 4,3 Millionen Kongolesen in einer äußerst besorgniserregenden Hungerkrise. Für sie ginge es tagtäglich ums schiere Überleben, heißt es im Integrated Phase Classification (IPC) Bericht vom Mai dieses Jahres.

Eine traurige Bilanz: Die DRC ist Spitzenreiter des jüngsten Welthungerindex, den die Welthungerhilfe, das International Food Policy Research Institute und Concern Worldwide jedes Jahr veröffentlichen. In diesem Jahr stufen die Organisationen 26 Länder als kritisch ein. Doch nirgendwo leiden die Menschen so sehr wie im Kongo. Fast drei Viertel der über 70 Millionen Einwohner sind unterernährt, die Kindersterblichkeitsrate ist eine der weltweit höchsten. In ähnlich gravierender und lebensbedrohlicher Situation befinden sich die Menschen in den Länder auf den Folgeplätzen des Welthungerindex - Burundi, Eritrea, Tschad und Äthiopien. Auffällig ist, dass es sich bei allen um Staaten handelt, die zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt gehören – den sogenannten LDCs (least developed countries).

LDCs haben sich verdoppelt

LDCs haben ein durchschnittliches pro Kopf Bruttoinlandsprodukt von weniger als 235 US $. Die Lebenserwartung liegt bei weniger als 51 Jahren, jedes zehnte Kind stirbt, bevor es das erste Lebensjahr vollendet hat. Die Hälfte aller Erwachsenen in den LDCs kann weder lesen noch schreiben. Die Bevölkerungszahl aller LDCs zusammen beträgt über 630 Millionen, was etwa 10 Prozent der Weltbevölkerung entspricht. Zum Gesamteinkommen der Welt tragen die LDCs jedoch lediglich mit einem Prozent bei. Das Erschreckende: seit 1971 hat sich die Zahl der LDCs von 25 auf 51 mehr als verdoppelt, die meisten (34) davon liegen in Afrika. Parallel dazu ist die öffentliche Entwicklungshilfe für LDCs seit 1990 um 45 Prozent gesunken.

Diese Länder sind abhängig von Entwicklungs- und Lebensmittelhilfe, schimpfen Kritiker wie der somalische Schriftsteller Nuruddin Farah oder der Wirtschaftsexperte und Bruder des früheren südafrikanischen Präsidenten, Moeletsi Mbeki. Dies sei deutlich zu sehen darin, dass in dem Moment, wo weniger Hilfe geleistet wird, die Zahl der am wenigsten entwickelten Länder steigt. Beide afrikanische Denker fordern einen Stopp von Hilfsleistungen, um das meist vorhandene Eigenkapital und –potenzial zu nutzen. Es sei die moralische und politische Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, die Hungrigen nicht für immer zu füttern, argumentiert Farah. Mbeki und Farah fordern einen freien und gleichberechtigten Handel auf den Weltmärkten für alle. Die Märkte sollten liberalisiert und Schutzzölle abgebaut werden. Das wäre ein wirklicher Schritt zur gleichberechtigten Eingliederung vor allem afrikanischer Länder in die Weltwirtschaft.

"Wir brauchen kein Geld", lächelt Esperance Ngabo und schlägt ihre wunderschön gebogenen Wimpern auf. Ihre kugelrunden dunklen Augen blicken ins Leere. Dann sagt die zierliche Frau, die wegen des Bürgerkriegs, der in den letzten 15 Jahren weit über fünf Millionen Menschen das Leben kostete, lediglich vier Jahre zur Grundschule gehen konnte: "Wir haben hier im Kongo doch alles was wir brauchen".

Fluch der Rohstoffe

Wohl wahr. Denn die Demokratische Republik Konog (DRC) ist so reich, dass es sie arm macht. Wenn die DRC die enorme Wasserkraft des Flusses Kongo nutzen würde, könnte sie problemlos ganz Afrika und Europa mit Energie versorgen. Zudem könnte die DRC dank ihrer heiß begehrten Bodenschätze das reichste Land Afrikas sein. Die Vorkommen an Gold, Kupfer, Diamanten, Kobalt, Uran und Coltan hier im Herzen Afrikas gehören zu den bedeutendsten der Welt.

Beispiel Coltan: 80 Prozent der weltweiten Reserven dieses kostbaren Erzes stecken im Boden in der DRC. Coltan wird für jedes Handy benötigt und ist daher heiß begehrt. Das Erz ist leicht abzubauen, da es dicht unter der Erdoberfläche liegt. Leider wird der Abbau weitgehend von eigenmächtig agierenden Generälen, Soldaten und Milizen kontrolliert, die illegal damit handeln. Wenn die DRC also ihre Soldaten kontrollieren, der Korruption und der endlosen Selbstbereicherung der Mächtigen ein Ende setzen könnte, dann wäre die Demokratische Republik Kongo eines der reichsten Länder der Erde.

Nsimire hat aufgegessen. Esperance Ngabo nimmt ihre Tochter an der Hand, um nun auch für sich selber etwas Essbares aufzutreiben. Vielleicht kann sie ein paar Cent durch ihre Trägerdienste verdienen und heute sogar mal ein wenig Gemüse statt immer nur Maniokbrei essen. Sie lächelt beinahe weise und sagt im Hinausgehen: "Das einzige was uns fehlt sind Sicherheit und Frieden."

Autorin: Dagmar Wittek
Redaktion: Matthias von Hein

Der Blick aus dem Hubschrauber über dem Osten Kongos zeigt eine unzugängliche Regenwaldlandschaft (Foto: dpa)
In der Erde des Kongos lagern wertvolle RohstoffeBild: picture-alliance/dpa
Miserable Infrastruktur im Ostkongo (Foto: Dagmar Wittek)
Mangelnde Infrastruktur behindert EntwickungBild: Dagmar Wittek
Esperance Ngabo mit ihrer Tochter Nsimire im Uzima Ernährungszentrum der UN (Foto: Dagmar Wittek)
Endlich satt nach endlosen Vertreibungen - Esperance Ngabo und TochterBild: Dagmar Wittek
Ein Kleinkind wird von einem UNICEF-Mitarbeiter gewogen (Foto: UNICEF)
Wie viel wiegt das Leben?Bild: UNICEF