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Tüftler, Erfinder und Bundeskanzler

Elizabeth Grenier
19. April 2017

Auch 50 Jahre nach Konrad Adenauers Tod gibt es noch viele offene Fragen um den Kanzler. Eine davon: Wie wichtig war er für die Wiedervereinigung? Eine Ausstellung in Berlin und ein neues Buch geben Antwort darauf.

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Konrad Adenauer (rechts im Auto) mit Willy Brandt (mitte) und John F. Kennedy in Berlin im Juni 1963
Konrad Adenauer (rechts im Auto) mit Willy Brandt (mitte) und John F. Kennedy in Berlin im Juni 1963Bild: picture-alliance/AP Photo/Will McBride-Camera Work/Kennedy Museum

Bei seinem Amtsantritt 1949 war er 73 Jahre alt und regierte bis 1963 insgesamt 14 Jahre. Bereits damals sprach er sich für eine europäische Einigung aus. Die Konrad-Adenauer-Stiftung, die sich unter anderem durch politische Bildung für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit einsetzt, erforscht auch heute noch das Leben und Wirken des Politikers.

Neu entdeckte, bisher unbekannte Quellen erzählen aus Adenauers später Lebensphase. Der Politikwissenschaftler Hanns Jürgen Küsters, Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung, hat sie in das von ihm herausgegebene Buch "Konrad Adenauer - Der Vater, die Macht und das Erbe, Das Tagebuch des Monsignore Paul Adenauer 1961-1966" veröffentlicht. Küsters ist auch Mitorganisator der Ausstellung "Einheit nur in Freiheit - Konrad Adenauer und die Deutsche Frage" im Deutschen Historischen Museum in Berlin (ab 22.4.17). Im DW-Interview erzählt er, warum die neu entdeckten Tagebuchaufzeichnungen von Adenauers Sohn Paul, der 2007 starb, so spannend sind.

Deutsche Welle: Herr Küsters, Sie haben ein aktuelles Buch über Konrad Adenauer herausgegeben, können Sie uns kurz das Neue daran vorstellen?

Hanns Jürgen Küsters: Im Jahr 2015 verstarb eine Haushälterin von Konrad Adenauers Sohn Paul, der Priester war. Im Zuge der Haushaltsauflösung wurde ein Tagebuch von Paul Adenauer entdeckt. Als ich es das erste Mal in der Hand halten durfte, war mir sofort klar, dass das nach 48 Jahren eine einzigartige Quelle zu Konrad Adenauers Wirken und Leben in der Spätphase seiner Kanzlerschaft und seiner Nach-Kanzlerschaft war. Das Tagebuch bezieht sich auf den Zeitraum 1961 bis 1966. In dieser Phase bekam Paul Adenauer, der damals wieder im elterlichen Haus lebte, das Ende der Kanzlerschaft Adenauers mit, und die Phase bis zu seinem Tode 1967.

Deutschland Prof. Dr. Hanns Jürgen Küsters
Politikwissenschaftler Hanns Jürgen Küsters Bild: KAS-ACDP/Marie-Lisa Noltenius

Was hat Sie an diesem Tagebuch am meisten fasziniert?

Diese Aufzeichnungen sind deshalb besonders interessant, weil sie nicht nur einen Einblick in die Tagesaktualität der damaligen Zeit geben, sondern auch preisgeben, wie Adenauer sich persönlich fühlte, wie er persönliche Dinge im Gespräch mit seinem Sohn einschätzte. Dadurch bekommen sie einen besonderen Quellenwert, weil sie eine Sicht des Sohnes auf den Vater zeigen. Das ist auch noch einmal eine neue Nuance in der Adenauer-Forschung. Der Sohn, der fast täglich mit dem Vater zusammen ist, hat natürlich einen ganz anderen Blick auf ihn, als jeder, der Adenauer nur von außen her gekannt hat. 

Angeblich hat Adenauer wenig Zeit für seine Kinder gehabt als sie noch jung waren -  diese spätere intensive Beziehung bietet einen interessanten Kontrast...

Paul Adenauer, 1923 geboren, ist der zweite Sohn aus zweiter Ehe von Konrad Adenauer. Er hat in den ersten zehn Jahren relativ wenig von seinem Vater gehabt, weil der in der Funktion des Kölner Oberbürgermeisters politisch sehr stark in der regionalen und kommunalen Politik involviert war.

Als Adenauer 1933 aus dem Amt des Kölner Oberbürgermeisters entlassen wurde, eröffnete sich auch für den Sohn eine neue Perspektive zum Vater. Er hat ihn relativ häufig in Maria Laach [Anm. d. Red.: ein Benediktinerkloster, in dem Konrad Adenauer ein Gästezimmer hatte, da eine Rückkehr nach Köln zu gefährlich für ihn gewesen wäre] besucht. Da hat Paul die Spiritualität dieses Klosters mitbekommen. In dieser Zeit wuchs auch sein Wunsch, Priester zu werden. Der Vater stand diesem Wunsch seines Sohnes sehr skeptisch gegenüber, hatte sich letztendlich aber nicht dagegen wehren können. Der Sohn fühlte sich zum Amt des Priesters berufen.

Konrad Adenauer Buchcover
Bild: Ferdinand Schöningh

Sie haben die Entlassung Konrad Adenauers 1933 kurz erwähnt. Adenauer gilt als Nazi-Gegner. Können Sie mehr über diese Periode erzählen?

Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 ist Konrad Adenauer - nach 16 Jahren im Amt des Kölner Oberbürgermeisters - von den dortigen Nazis vertrieben worden. Er lebte dann bis 1944 quasi als Privatmann und war sogar gezwungen, um seine Pension zu kämpfen. In dieser Phase durchlitt er seelische Depressionen, weil er immer noch eine Familie versorgen musste und existentielle Probleme hatte. Er soll sogar einmal Selbstmordabsichten gehabt haben. Das war für ihn eine wirklich schwere Zeit.

Er ist kein Widerstandskämpfer gewesen - auf der einen Seite -, aber auf der anderen Seite hat er sich stets gegen die Nationalsozialisten ausgesprochen. Nach 1945 war sein Anliegen, international den Nationalismus zu überwinden. Das war eine maßgebliche Motivation für ihn, sich für die europäische Einigung einzusetzen. Er suchte den Anschluss an den Westen, an die freiheitliche parlamentarischen Demokratien und wollte die Deutschen auf den Westkurs bringen. 

International war Adenauer besonders auf die Westbindung ausgerichtet, weil er neben der Überwindung des Nationalismus und der Förderung der europäischen Integration vor allen Dingen auch das Maß der wirtschaftlichen Verflechtung im Blick hatte. Er ging davon aus, dass es wegen der wirtschaftlichen Verflechtungen unter westlichen Demokratien letztendlich keine kriegerische Auseinandersetzung geben würde.

Wie würden Sie seinen Charakter beschreiben?

Konrad Adenauer ist eine kantige Persönlichkeit gewesen, die sich natürlich seines Amtes und seiner Wichtigkeit bewusst war. Er ist sowohl in den 1950er Jahren als auch im Alter von 73 Jahren, als er Kanzler wurde, der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Er war bereit, die Verantwortung für den Wiederaufbau Deutschlands zu übernehmen, er war bereit Deutschland zu modernisieren. Aber er ist auch jemand gewesen, der im Umgang nicht immer ganz einfach war. Er war schlagfertig. Er war ein Realpolitiker, der mit sehr viel Pragmatismus Politik betrieb. Wenn er ein Ziel vor Augen hatte, dann versuchte er immer, es umzusetzen. Und er war sehr prinzipientreu, aber das sind Eigenschaften, die nicht bei allen ankamen.

Ausstellungsansicht Konrad Adenauer (BOK+Gärtner)
Adenauer-Ausstellung im DHM Berlin zur WestintegrationBild: BOK+Gärtner

Der Politiker hat auch eine unerwartet kreative Seite gehabt. Er hat in seinem Leben zahlreiche Erfindungen entwickelt. Was wissen Sie darüber?

Adenauer war sehr technikaffin. Er hat schon Anfang des 20. Jahrhunderts verschiedenste Erfindungen gemacht. Er hat ein "Notzeitbrot" erfunden, um die Lebensmittelversorgung im Ersten Weltkrieg zu verbessern. Er hat zum Beispiel ein beleuchtetes Stopfei und einen Ausguss für eine Gießkanne erfunden. Adenauer ist immer ein Tüftler gewesen. Es hat ihm einfach Spaß gemacht, solche technischen Dinge auszuprobieren. Andererseits hat er auch immer wieder darauf geschaut, ob er nicht durch Patente vielleicht noch Geld verdienen kann, das spielte sicherlich eine Rolle.

"Der Spiegel" enthüllte in seinem jüngsten Titel, dass der Altkanzler politische Gegner ausspionieren ließ. Wie reagieren Sie auf diese Informationen?

Ich glaube, dass das nicht wirklich was ganz Neues ist. Es gibt eine Historiker-Komission, die Akten des BND auswertet. Wir wissen, dass es dementsprechend Kontakt zwischen dem damaligen BND-Chef Reinhard Gehlen und dem Kanzleramt gegeben hat. Ich bin mir aber nicht sicher, ob Konrad Adenauer hierzu den Auftrag gegeben hat. Wir wissen aus anderen Quellen, dass Reinhard Gehlen vor allen Dingen versuchte, sich selbst zu profilieren und dafür dem Kanzleramt eine Reihe von Informationen angedient hat. Von wem hier wirklich die Initiative ausging, das müsste sicherlich anhand der Akten noch einmal weiter geprüft werden. Entscheidend ist aber, dass natürlich der BND die Informationen, die er gesammelt hat, dem Kanzleramt zur Verfügung stellte.

Das, was "Der Spiegel" augenblicklich dazu veröffentlicht hat, ist in weitesten Teilen alles bekannt in der Adenauer-Forschung und so gesehen von der Sache her wirklich nichts sensationell Neues.

Welches Bild sollten wir ihrer Meinung nach vom Gründungskanzler behalten?

Ich glaube, die Verdienste Konrad Adenauers sind, dass er in einer schwierigen Phase der deutschen Geschichte, 1945, bereit war, Verantwortung zu übernehmen, obwohl er sich im Grunde genommen schon zur Ruhe hätte setzen können.

Konrad Adenauer ist sicherlich der Gründungsvater der Bundesrepublik Deutschland, der dafür gesorgt hat, dass die Demokratie in Deutschland im Sinne der westlichen parlamentarischen freiheitlichen Demokratie eingeführt wurde - was keine Selbstverständlichkeit war. Er war jemand, der die Deutschen an die westliche Demokratie herangeführt hat, die heute noch Grundlage unserer politischen Ordnung ist. Außerdem hat er die Wiederannäherung an Israel und die Aussöhnung mit Frankreich vorangetrieben. Konrad Adenauer hat die Europäische Gemeinschaft mitgegründet. Das sind sicherlich bleibende Werte, die für uns unverzichtbar sind. 

Das Interview führte Elizabeth Grenier.