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Die Baroness kehrt dem Brexit den Rücken

20. Juni 2016

Wieder eine emotionale Wendung im Brexit-Streit in Großbritannien nur vier Tage nach dem Mord an Jo Cox: Die pakistanisch-stämmige Konservative Sayeeda Warsi hat genug von der Kampagne der EU-Austrittsbefürworter.

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Sayeeda Warsi bei einer Veranstaltung in Batley (Foto: Getty Images/AFP/O. Scarff)
Sayeeda Warsi (vorne links) bei einer Veranstaltung vor wenigen Tagen in BatleyBild: Getty Images/AFP/O. Scarff

Aus Protest gegen fremdenfeindliche Rhetorik hat eine prominente Unterstützerin der britischen Brexit-Kampagne den Rücken gekehrt. Wenige Tage vor dem Referendum warf die frühere Vorsitzende der Konservativen Partei von Premierminister David Cameron, Baroness Sayeeda Warsi, den Befürwortern eines EU-Austritts vor, die Grenzen des Anstands überschritten zu haben. "Wollen wir wirklich Lügen erzählen und Hass und Fremdenfeindlichkeit verbreiten, nur um eine Kampagne zu gewinnen?", fragte die pakistanisch-stämmige Politikerin in einem Interview der "Times".

"Breaking Point"

Sie könne die Kampagne nicht länger unterstützen, fügte Warsi - Mitglied des britischen Oberhauses - hinzu. Den letzten Ausschlag für die Entscheidung habe ein Plakat gegeben, auf dem Flüchtlinge und der Slogan "Breaking Point" (Bruchstelle) zu sehen waren. "Dieses Plakat war für mich persönlich die Bruchstelle", sagte Warsi. Das Poster hatte bereits zuvor für Aufregung und Kritik gesorgt.

Die ermordete Labour-Politikerin Jo Cox (Foto: Reuters/Yui Mok/Press Association)
Jo Cox (1974 - 2016)Bild: Reuters/Yui Mok/Press Association

Warsi zog mit ihrem Seitenwechsel offenbar Konsequenzen aus dem Mord an der Labour-Abgeordneten und Brexit-Gegnerin Jo Cox, die von einem Mann nach Zeugenaussagen mit dem Ruf "Großbritannien zuerst" niedergeschossen und auch mit einem Messer attackiert worden war. Am Sonntag hatten die Politiker in Großbritannien ihre Kampagnen zu dem Referendum über den EU-Verbleib wieder aufgenommen. Sie waren nach dem tödlichen Attentat auf Jo Cox in der vergangenen Woche vorübergehend ausgesetzt worden. Zuletzt hatten beide Lager immer zugespitzter der Gegenseite Vorwürfe gemacht, das Klima wurde zunehmend gereizter. Unterstützer der Brexit-Kampagne zogen nach Warsis Ankündigung umgehend über den Kurznachrichtendienst Twitter in Zweifel, ob die Politikerin die Kampagne zuvor tatsächlich mit voller Überzeugung unterstützt habe.

"Was hat das Drinbleiben-Lager anzubieten? Nichts"

Der Austritts-Wortführer, Londons Ex-Bürgermeister Boris Johnson, warf Premier Cameron und dem Pro-EU-Lager derweil politische Ratlosigkeit vor. "Was hat das Drinbleiben-Lager anzubieten? Nichts. Keine Veränderung, keine Verbesserung, keine Reform; nichts als die beständige und miserable Erosion der parlamentarischen Demokratie in diesem Land", schrieb er in einem Namensbeitrag für die Zeitung "Daily Telegraph".

Brexit-Befürworter Boris Johnson (Foto: picture-alliance/AP Photo/D. Lipinski)
Brexit-Befürworter Boris JohnsonBild: picture-alliance/AP Photo/D. Lipinski

In drei neuen Umfragen konnten die EU-Befürworter zwar Boden gutmachen, aber insgesamt blieb es bei einem Patt. Im Wettbüro Betfair stieg allerdings die Wahrscheinlichkeit für ein Scheitern des Brexit auf 74,6 Prozent, nachdem die Werte am Freitag noch zwischen 60 und 67 Prozent schwankten.

'"Wir Deutsche würden Euch vermissen"

Auch in Deutschland ging die Diskussion über das britische Referendum weiter. Ein Brexit würde dem europäischen Projekt nach den Worten von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erheblich schaden. Im Falle eines Austritts der Briten müsse verhindert werden, dass sich der jahrzehntelange Integrationsprozess umkehre, sagte der SPD-Politiker. Der deutsche Exportverband BGA befürchtet im Falle eines britischen EU-Austritts langanhaltende Unsicherheiten und Wohlstandseinbußen in Großbritannien und der EU. "Das ist Gift für die Wirtschaft in Großbritannien aber auch für Gesamteuropa", sagt der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen, Anton Börner.

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen schließlich riet von einer aktiven Beteiligung deutscher Politiker an der Brexit-Debatte in Großbritannien ab. Nur die emotionale Botschaft '"Wir Deutsche würden Euch vermissen, wir wollen Euch dabeihaben" sei in dem Meinungsstreit nicht schädlich, sagte Röttgen dem Deutschlandfunk.

sti/wl (afp, dpa, rtr)