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Der Tod und die Intifada

Kersten Knipp27. Februar 2013

Woran starb Arafat Dscharadat? Der Tod des jungen Palästinensers in einem israelischen Gefängnis hat einen Streit über die Todesursache ausgelöst. Doch es geht um weit mehr als lediglich medizinische Aufklärung.

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Szene von der Beerdigung Arafat Dscharadats in Hebron im Westjordanland, 24. 2. 2013 (Foto: AFP)
Bild: Hazem Bader/AFP/Getty Images

Wo beginnt Folter - und wo hört sie auf? Das ist die Frage, um die Israelis und Palästinenser streiten, seit der 30-jährige Familienvater Arafat Dscharadat in einem israelischen Gefängnis starb. Sind die beiden gebrochenen Rippen, die das gemeinsame palästinensisch-israelische Obduktionsteam diagnostizierte, Folgen von Misshandlung? Nein, sagen die Israelis: Die beiden Rippen seien gebrochen worden, als Ärzte versuchten, den Gefangenen wiederzubeleben. Das sehen die Palästinenser anders: Sie sprechen auch von schweren Blutergüssen auf dem Rücken des Gefangenen und sehen diese als Anzeichen dafür, dass Dscharadat gefoltert wurde.

Für Lior Ben Dor, Sprecher des israelischen Außenministeriums, liegen die Motive für die palästinensischen Behauptungen auf der Hand. Er nimmt an, dass die Palästinenser den Tod Dscharadats politisch instrumentalisieren wollen. Die Behauptung, der Gefangene sei unter Gewaltanwendung gestorben, sei Teil einer palästinensischen Hetze gegen Israel: "Aber mit der Realität hat das nichts zu tun", sagte Ben Dor im Gespräch mit der DW.

Tod im Gefängnis

Dennoch bleiben Fragen offen. Seit 1967 sind der palästinensischen Nichtregierungsorganisation "Al Haq" zufolge rund 200 Palästinenser in israelischen Gefängnissen gestorben: Eine hohe Zahl, die sich zumindest zum Teil auch durch den Umgang mit den palästinensischen Gefangenen erklären könnte. Bei den Gefangenen handele es sich um "tickende Zeitbomben", erklärt Lior Ben Dor: "Diejenigen, die sich in israelischen Gefängnissen befinden, sind dort, weil sie sich an feindlichen und terroristischen Attacken gegen Israel und seine Bürger beteiligten." Manche dieser Gefangenen besäßen Informationen, die für Israel zum Schutz seiner Bürger unverzichtbar seien. Darum wurden die Gefangenen auch verhört. "Doch auch, wenn wir ihnen gegenüber gewisse Methoden anwenden, entsprechen diese immer den internationalen Übereinkünften und dem internationalen Gesetz", so Ben Dor.

Das Megedo-Gefängnis in Israet, in dem auch Dscharadat einsaß, 14.2. 2005.
Das Megedo-Gefängnis in Israel: Hier saß auch Dscharadat einBild: Getty Images

Shawan Jabarin, Direktor von "Al Haq", widerspricht dieser Darstellung. Die Verhaftungen basierten teils auf Anschuldigungen wie der, die Gefangenen hätten Steine geworfen oder sich an Demonstrationen beteiligt. Andere würden aus administrativen Gründen in Haft gehalten. Bisweilen würden sie auch gar keines Vergehens angeklagt, "so dass die Gefangenen sich auch nicht dagegen wehren können".

Beschimpfungen und Schmutz

Welche Methoden bei den Verhören angewendet werden, hat die israelische Menschenrechtsorganisation B´Tselem in einem 2010 veröffentlichten Bericht dokumentiert. Demnach sind die meisten Zellen, in denen die Gefangenen vor ihren Verhören untergebracht werden, fensterlos. Ein Viertel der befragten Gefangenen, so B´Tselem, berichteten von einer entweder zu heißen oder zu kalten künstlichen Belüftung. Andere beklagten sich über stinkende Toiletten und schmutzige Matratzen und Bettdecken. Während der Verhöre säßen die Häftlinge auf einem fixierten Stuhl und könnten sich kaum bewegen. Einige der von B´Tselem befragten Gefangenen berichteten von tagelangen Verhören und Schlafentzug. Ein gutes Drittel sprach von Beschimpfungen, ein knappes Zehntel gar von physischer Gewalt.

Palestinian protesters throw stones during clashes with Israeli soldiers and border policemen in the West Bank city of Hebron Unruhen in Hebron nach Dscharabats Tod, 24. 2. 2013. (Foto: Reuters)
Unruhen in Hebron nach Dscharabats TodBild: Reuters

Folter als politisches Instrument?

Solche Methoden, schreibt die palästinensische Zeitung Al Quds anlässlich des Todes von Arafat Dscharadat, würden von der israelischen Gefängnisverwaltung ganz bewusst eingesetzt: "Sie sind weder selten noch außergewöhnlich, sondern gehen unmittelbar aus der Besatzung hervor. Obwohl die Folter von den Sicherheitsbehörden ausgeht, findet sie doch den Segen und die Unterstützung der politischen und juristischen Instanzen Israels." Diese Meinung teilt auch Shawan Jabarin: "Israel betrachtet den Druck auf die palästinensischen Gefangenen als Bestandteil seines politischen Instrumentariums."

Derzeit befinden sich B´Tselem zufolge knapp 4600 Palästinenser in israelischen Gefängnissen. Als Reaktion auf den Tod von Arafat Dscharadat traten sie für einen Tag in den Hungerstreik. Ein Teil von ihnen will diesen fortsetzen, manche sogar unbefristet. "Ich habe den Eindruck, die Lawine wird größer und größer", erklärt Jabarin.

Angst vor der dritten Intifada

Die Israelis werfen den Palästinensern und insbesondere der Palästinensischen Autonomiebehörde vor, größtmögliche Aufmerksamkeit vor dem Besuch von US-Präsident Barack Obama Ende März in Israel und den Autonomiegebieten erregen zu wollen. Mahmud Abbas, der Präsident der Autonomiebehörde, nutze die Tragödie für einen politischen Angriff, schreibt die israelische Zeitung Israel Hayom: "Das ist sein gutes Recht, doch der palästinensische Schritt bedeutet, dass Ramallah sich von seiner erklärten Position der Kooperation mit Israel entfernt." Abbas heize die Kontroverse absichtlich an, kritisiert die israelische Zeitung.

Israelisches Militär in Hebron, 24. 2. 2013 (Foto: Reuters)
Vorspiel zur dritten Intifada? Israelisches Militär in HebronBild: Reuters

Dem widersprechen die Palästinenser. Man müsse darüber nachdenken, sich zu schützen und den Fall vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu bringen, ist etwa in Al Quds zu lesen. Seitdem die palästinensischen Autonomiegebiete bei den Vereinten Nationen zum Beobachterstaat aufgewertet wurden, steht den Palästinensern dieser Schritt offen. Der Konflikt nimmt immer stärker internationale Dimensionen an. Ob er sich auch mit friedlichen Mitteln lösen lässt, ist fraglich. Beobachter sprechen bereits von der Möglichkeit einer dritten Intifada.