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Kooperation statt Misstrauen?

Thomas Bärthlein 22. Juni 2003

Die indisch-chinesischen Beziehungen sind traditionell von Rivalität geprägt. Deshalb wird der erste Besuch eines indischen Premiers im Nachbarland seit zehn Jahren in beiden Ländern besonders verfolgt. Ein Background.

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Betrachtet China als Bedrohung: Indiens Premierminister VajpayeeBild: AP

Im Jahre 1998, unmittelbar nach den indischen Atomtests, schickte Atal Behari Vajpayee zur Erklärung einen Brief an Bill Clinton. Nicht etwa gegen Pakistan, sondern wegen der Bedrohung durch China brauche Indien Atomwaffen, schrieb er damals. Indiens Premierminister Vajpayee, der seit Sonntag (22.6.2003) für sechs Tage China bereist, traut dem Nachbarland nicht. Und umgekehrt begegnet auch die chinesische Führung dem indischen Regierungschef sehr skeptisch. Nicht nur wegen seiner Nuklear-Politik: China beobachtet auch die Anzeichen einer stärkeren Kooperation Indiens mit den USA mit großer Sorge.

Auch sonst gibt es genug Konflikte. Da sind Jahrzehnte alte Grenzstreitigkeiten: Indien beschuldigt China, 38.000 Quadratkilometer der umstrittenen Region Kaschmir besetzt zu halten. Peking wiederum beansprucht ein 90.000 Quadratkilometer großes Gebiet im nordöstlichen indischen Bundesstaat Arunachal Pradesh. Seit den 1980-er Jahren finden dazu regelmäßig bilaterale Gespräche statt. Nicht ohne Erfolg, sagt Alka Acharya, China-Expertin an Delhis renommierter Jawaharlal-Nehru-Universität: "In letzter Zeit sehen wir, dass der Prozess zur Lösung der Grenzstreitigkeiten eine Eigendynamik gewonnen hat." Zudem gebe es ein weiteres Problem, das "genauso zu Spannungen führt - nämlich Chinas Unterstützung für Pakistans Nuklear-Programm", erläutert Acharya.

Interesse an guten Beziehungen

Andererseits zeigt sich China immer wieder bemüht, im indisch-pakistanischen Konflikt nicht einseitig als Verbündeter Pakistans zu erscheinen. Als es 1999 in der Region Kargil zu Gefechten zwischen pakistanischen und indischen Truppen kam, hielt sich China demonstrativ zurück.

Wie Sun Shihai von der chinesischen Akademie der Wissenschaften erklärt, strebt China gute Beziehungen mit Indien und Pakistan an: "Ich denke, China hat seine Südasien-Politik nach dem Ende des Kalten Krieges ziemlich stark revidiert", erklärt er und ergänzt: "Während des Kalten Krieges stand China Pakistan näher, kann man sagen. Aber nach dem Ende des Kalten Krieges haben sich die internationalen Beziehungen, die gesamte internationale Lage stark verändert. China sieht Indien durchweg als Freund, nicht als Rivale oder gar Feind."

Indisch-chinesische Gemeinsamkeiten

Eine verstärkte Kooperation bietet Indien und China nach Einschätzung des Südasien-Experten neue Chancen: "Beide Seiten haben bei einer ganzen Menge regionaler und globaler Fragen die gleichen Interessen. Wichtige Gemeinsamkeiten gibt es zum Beispiel beim Thema Terrorismus, bei der Bewahrung der territorialen Integrität und Einheit ihrer Länder."

Vor kurzem gab es Spekulationen, Indien und China wollten gemeinsam mit Russland eine Dreiecks-Allianz gegen eine US-amerikanische Hegemonie in Asien bilden. Alka Acharya hält das für völlig unrealistisch: "Alle drei - China, Indien und Russland - haben jeweils ihre eigenen Interessen, die sie gemeinsam mit den USA verfolgen. Und denen sie zur Zeit den Vorrang einräumen. Die Frage, wie man gemeinsam ein Gegengewicht zu den USA bilden kann, stellt sich also den Dreien nicht zur Zeit."

Annäherung durch Handel

Somit geht es bei Vajpayees Visite in China wohl eher um kleine Schritte der Verständigung. Abbau von Mißtrauen, Aufbau von Handel - könnte die Devise lauten.

Auch im wirtschaftlichen Bereich sehen viele in Indien China noch eher als Rivalen denn als Partner. Ärgerlich wird registriert, dass China wesentlich mehr ausländische Investitionen anzieht als Indien. Sun Shihai macht dafür jedoch interne Faktoren in Indien verantwortlich. "In erster Linie ist es die indische Politik und sind es die Bedingungen für Investoren, die Indien weniger attraktiv als China machen", betont er. Zudem investierten Inder und Chinesen im jeweils anderen Land. Diese Investitionen seien zwar noch sehr gering, aber der bilaterale Handel habe enorme Steigerungsraten. Im vergangenen Jahr betrug er Sun zufolge fast fünf Milliarden Dollar.

Die indischen Wirtschaftsverbände sind in Vajpayees Delegation jedenfalls stark vertreten. Insbesondere die weltweit so erfolgreiche IT-Branche sieht in China noch große Chancen.