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Revolution auf lokaler Ebene

Thilo Wagner28. September 2013

In der Krise versuchen Portugals Lokalpolitiker sich als neue Kraft zu positionieren. Doch viele Kommunen in dem hochverschuldeten Land gelten als Brutstätten der Korruption und Horte der Geldverschwendung.

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Schulbus mit Wahlplakaten in Oeiras, vor den Toren Lissabons (Foto: DW/T. Wagner)
Bild: DW/T. Wagner

Paulo Romeira sieht nicht unbedingt aus wie ein Revolutionsführer. Er trägt einen schlichten Anzug und hält sein angegrautes Haar akkurat kurz geschnitten. In den vergangenen Monaten hat sich Romeira jedoch mit seiner "Bewegung Weiße Revolution" in Portugal einen Namen gemacht. Einer kleinen Gruppe von Lokalpolitikern, die zusammen mit über 1300 Mitstreitern beim Urnengang am Sonntag (29.09.2013) in 308 portugiesischen Wahlkreisen kandidieren, ist der unscheinbare Manager ein Dorn im Auge. Eigentlich sollte ein neues Gesetz die Regierungszeit der Bürgermeister auf maximal drei Amtszeiten beschränken. Doch die Politiker fanden einen Weg, um das Verbot zu umgehen: Sie kandidieren einfach um das Bürgermeisteramt einer anderen Stadt. Dagegen haben Paulo Romeira und seine Bürgerrechtsbewegung geklagt.

Mit der politischen Elite seines Landes geht Romeira hart ins Gericht. Er teile nicht die Hoffnung vieler seiner Mitbürger, die sich nach der Bundestagswahl von der möglichen Bildung einer Großen Koalition in Deutschland eine Aufweichung des harten Sparkurses versprechen, mit dem Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Troika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank direkt in Verbindung gebracht werden: "Ich habe nichts gegen die Troika. Sie ist nur der Sündenbock für eine Krise, die unsere politische Elite selbst zu verantworten hat, weil sie ihre Macht benutzt hat, um auf Kosten unserer Gesellschaft zu leben."

Maria Pires de Almeida (Foto: Tilo Wagner)
Für Maria Pires de Almeida ist die Lokalpolitik Brutstätte für KorruptionBild: DW/T. Wagner

Politische Elite in der Kritik

Es ist kein Zufall, dass vor den Kommunalwahlen die Kritik an den politischen Vertretern in Portugal zunimmt. Lokalpolitiker haben während des portugiesischen Wirtschaftsaufschwungs in den 1980er und 1990er Jahren die steigenden Steuereinnahmen aus dem Immobilienboom und die Transferzahlungen aus Lissabon und Brüssel genutzt, um in ihren Kommunen den Bau von Sozialwohnungen, Straßen, Gewerbegebieten und Sportanlagen zu fördern - mit teilweise fatalen Folgen: "Die größten Fälle von Korruption finden sich in den Kommunen und das Image der Lokalpolitik ist dementsprechend schlecht," sagt Maria Pires de Almeida, die eine umfangreiche Studie zur politischen Entwicklung der Kommunen in Portugal vorgelegt hat.

Die augenscheinliche Verbesserung der Lebensqualität ist auch vielen Bürgern im Wahlbezirk Oeiras wichtiger als das unmoralische Verhalten ihres langjährigen Bürgermeisters. Isaltino Morais, der vor zehn Jahren im Kabinett des damaligen Regierungschefs und heutigen EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso saß, hat im Bezirk Oeiras vor den Toren Lissabons jahrzehntelang wie ein kleiner Provinzfürst regiert. Obwohl er wegen Korruption und Geldwäsche angeklagt wurde und seit ein paar Monaten wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis sitzt, ist Isaltinos Popularität in Teilen der Bevölkerung ungebrochen. Davon will auch sein möglicher Nachfolger profitieren. Paulo Vistas, der als unabhängiger Spitzenkandidat für das Bürgermeisteramt in Oeiras seinen zwielichtigen Parteifreund beerben will, nimmt den politischen Ziehvater in Schutz: "Isaltino sitzt im Gefängnis, aber den Menschen hier ist das egal. Die Justiz wird alle juristischen Fragen klären. Doch die Wähler beurteilen das politische Handeln von Isaltino, und das Ergebnis seiner Amtszeit kann sich sehen lassen."

Wahlplakate an einem Kreisel in Sintra, dem zweitgrößten Wahlbezirk Portugals (Foto: Tilo Wagner)
Wahlplakate in Sintra, dem zweitgrößten Wahlbezirk PortugalsBild: DW/T. Wagner

Vermeintlich unabhängige Kandidaten

Das neue Wahlgesetz, das die Amtszeit der Lokalpolitiker beschränkt, hat zu einer kleinen Revolution auf lokaler Ebene geführt. Fast die Hälfte aller Bürgermeisterämter werden neu besetzt. Viele Kandidaten haben sich im Wahlkampf bewusst von den Parteien im portugiesischen Parlament distanziert, deren Glaubwürdigkeit seit dem Beginn der Finanzkrise gelitten hat. "Die Kandidaten der Regierungsparteien setzen die Parteilogos fast unsichtbar in ihrer Kampagne ein," sagt die Historikerin Maria Pires de Almeida. "Die Lokalpolitiker wollen sich als eine alternative Kraft präsentieren, die nicht Teil des politischen Systems zu sein scheint. Und deshalb gibt es auch so viele scheinbar unabhängige Kandidaten."

Paulo Vistas (links), Kandidat für das Bürgermeisteramt von Oeiras in Portugal (Foto: Thilo Wagner)
Sein Chef sitzt im Gefängnis: Paulo Vistas (links) will neuer Bürgermeister von Oeiras werdenBild: DW/T. Wagner

Darin sehen Beobachter aber auch eine zusätzliche Gefahr für die portugiesische Demokratie. Denn die meisten unabhängigen Lokalpolitiker hätten ihre gesamte politische Karriere in den Reihen der großen Parteien aufgebaut und sich nur aus wahlstrategischen Gründen nun emanzipiert, so Maria Pires de Almeida: "Die Wahlbeteiligung ist immer sehr niedrig in Portugal. Ein junger Wähler, der sowieso kaum eine politische Bindung an die Parteien hat, mag sich jetzt von einem unabhängigen Kandidaten überzeugen lassen. Aber wenn er merkt, dass dieser Kandidat genau wie andere Parteipolitiker die Politik der vergangenen Jahre mit zu verantworten hat, könnte der Wähler endgültig resignieren und in Zukunft nicht mehr wählen gehen."