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GleichberechtigungKosovo

Kosovo: Feministin Zana Avdiu kämpft gegen Machokultur

Vjosa Cerkini (aus Prishtina)
3. April 2024

Patriarchat, Sexismus, Machotum: Zana Avdiu redet über Themen, von denen viele Männer im Kosovo nichts hören wollen. Die Feministin wird daher oft extrem angefeindet. Eine Zeit lang stand sie sogar unter Polizeischutz.

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Eine Frau mit braunen Haaren, gekleidet in einen blauen Blazer, lehnt an einem Tresen und schaut zur Seite.
Aktivistin, Feministin, Juristin: Zana Avdiu in Prishtina, KosovoBild: Vjosa Çerkini

Zana Avdiu kennt sich aus mit Hass: mit dem leisen, vorwurfsvollen, der sie wie ein Raunen verfolgt, wenn sie durch Prishtina geht; und dem lauten, wütenden, der im Netz und im Fernsehen immer wieder über sie hereinbricht. Zana Avdiu, 30 Jahre alt, ist Aktivistin und setzt sich für Frauenrechte in ihrem Heimatland Kosovo ein. Worum es auch geht - häusliche Gewalt, Sexismus, Macho-Kultur, Patriarchat, das traditionelle Familienbild der kosovarischen Gesellschaft - Zana Avdiu hat eine Meinung. Und keine Scheu, sie bei Talkshows im Fernsehen oder auf ihrer Facebookseite mit ihren 32.000 Followern zu teilen.

Als letztens etwa in Kosovo ein Gesetzesentwurf debattiert wurde, der Frauen auch ohne Partner Zugang zu künstlicher Befruchtung ermöglichen soll, schrieb Avdiu auf Facebook: "Frauen brauchen keine Männer, um schwanger zu werden." In den empörten Kommentaren, die sich schon bald unter ihrem Beitrag stapelten, wurde Avdiu unter anderem zur "Feindin der kosovarischen Gesellschaft" erklärt; fünf Kommentare brachte sie zur Anzeige.

Avdiu weiß, dass sie mit Aussagen wie dieser provoziert. Die Provokation ist Teil des Prozesses, hat sie gelernt. Provokation, Debatte, und dann vielleicht irgendwann einmal: Veränderung - so ihre Hoffnung. Nur wenn darüber geredet werde, könne man die tiefverwurzelten patriarchalen Denkmuster der kosovarischen Gesellschaft aufbrechen, glaubt Avdiu. Also redet sie.

"Frauen in Kosovo zählen nicht"

Zana Avdiu arbeitet tagsüber als Wirtschaftsjuristin, in ihrer Freizeit engagiert sie sich für Frauenrechte, vernetzt etwa Frauen, die Gewalt erlebt haben, mit Polizei und Hilfsorganisationen, postet auf den sozialen Medien. Sie ist gerade einmal 27, als sie regelmäßig in abendliche Fernsehsendungen eingeladen wird. Für den kosovarischen Fernsehsender T7 kommentiert sie seitdem in der Talkshow "Pressing" aktuelle politische Geschehnisse. Meist ist sie die einzige Frau in einer Männerrunde.

Die Quoten sind gut, auch wegen der Kontroversen, die Avdius Auftreten auslöst. Äußerlich wirkt sie mit den manikürten Fingernägeln und dem freundlichen Lächeln auf den Lippen auf manche unbedarft. Doch geht das Wort an sie, stellt sie harte Thesen in den Raum, feuert ihre Argumente dazu ab, gespickt mit Fakten, die das Gesagte untermauern sollen. "Mehr als 69 Prozent der Frauen in Kosovo erleben Gewalt", sagt sie dann etwa, oder "In Europa werden 88 Prozent der Autounfälle von Männern verursacht, in Kosovo dürfte die Zahl noch höher sein".

Kritik gibt es von Anfang an: "Natürlich war mein junges Alter der Punkt, an dem mich viele angegriffen haben. Aber mehr noch als wegen des Alter werde ich angegriffen, weil ich eine Frau bin", sagt Avdiu.

Frauen sind in der kosovarischen Öffentlichkeit zwar immer stärker präsent - immerhin ein Drittel des aktuellen Regierungskabinetts sind Politikerinnen und mit Vjosa Osmani ist bereits die zweite Frau Präsidentin des Landes. Doch für Avdiu gibt es bei alldem ein großes Aber. "Die Frauen in Kosovo zählen nicht, haben keine Bedeutung" sagt die Feministin. "Sie bekommen kein Erbe, keine Sicherheit, keine Wertschätzung, keinen Wohlstand. Das ist das Schicksal von Frauen in Kosovo." Daran etwas zu ändern, das hat Avdiu sich zur Aufgabe gemacht.

"Frauen dürfen Männer nicht kritisieren"

Bekannt wurde Zana Avdiu weit über die Grenzen Kosovos hinaus durch einen Vorfall bei der Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar, beim Spiel Serbien gegen die Schweiz. Der Kapitän der Schweizer Fußball-Nationalmannschaft war damals - und ist bis heute - Granit Xhaka; seine Eltern sind Kosovo-Albaner, die vor Xhakas Geburt in die Schweiz auswanderten. Während des WM-Spieles im Dezember 2022 kommt es in der 66. Minute zu einem Wortgefecht zwischen Granit Xhaka und der serbischen Bank. Beleidigungen werden ausgetauscht und Xhaka greift sich demonstrativ in den Schritt.

Ein Mann im weißen Trikot hat die Hände zu einem Adler verschränkt, er schaut an der Kamera vorbei.
Der Kapitän der Schweizer Nationalmannschaft Granit Xhaka zeigt während der WM 2018 den doppelköpfigen Adler, Symbol der albanischen Identität - kurz vor der Aufnahme hatte er den 1:1 Ausgleich gegen Serbien geschossenBild: Laurent Gillieron/Keystone/dpa/picture alliance

Auf Facebook und in einer kosovarischen Sportsendung kritisiert Avdiu im Anschluss an das Spiel Xhakas Verhalten. Sie findet die Geste unreif, übergriffig - und vergleicht das Verhalten Xhakas mit dem eines "Straßenjungen".

Noch während der TV-Diskussion wird Ragip Xhaka, Vater des Nationalspielers, live in die Sendung geschaltet, er droht Avdiu, sie werde sich "verantworten" müssen für ihre Kritik und sie solle auf ihre Familie aufpassen. "Wenn es so weit ist, wird es schon zu spät sein, das garantiere ich mit meinem Leben. Du kennst die Familie Xhaka nicht." Avdiu lässt die Tirade Xhakas über sich ergehen, lächelt steif. Doch Xhakas Wutanfall ist nur der Anfang. Mehr als 11.000 Hasskommentare und Drohungen ergießen sich in den nächsten Tagen über die Aktivistin, 200 davon übergibt sie der Polizei für weitere Ermittlungen. 

Für Avdiu ist im Nachhinein klar: "Das Problem war, dass eine Frau einen Mann kritisiert hat. Es ging nicht um Patriotismus oder die Bewahrung einer starken nationalistischen Identität [gegenüber dem ehemaligen Kriegsgegner Serbien, Anm. d. Red.]." Sie glaubt: Für Männer ist die Meinung einer Frau die größte Gefahr für die patriarchalische Gesellschaft. Diese Stimme wollten sie zum Schweigen bringen, so Avdiu.

Sexistische Kommentare als Hintergrundrauschen eines Lebens

Die Drohungen in den darauffolgenden Monaten reichten von Anfeindungen bis zu Lynchjustiz. Sie änderten Zana Avdius Leben. "Etwa einen Monat lang stand ich unter Polizeischutz" erzählt sie. Bis heute meidet Avdiu öffentliche Orte und nimmt keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr - obwohl sie sonst dafür plädiert, so wenig wie möglich das private Auto zu nutzen. Aber, das hat Avdiu in diesen Monaten gelernt: Manchmal steht die Sicherheit über Prinzipien. "Diese Zeit hat meinen Alltag völlig verändert", erinnert sie sich heute.

Als die Deutsche Welle Zana Avdiu zum Interview in einem Café in Prishtina trifft, stehen auf einmal fünf Männer neben dem Tisch, stacheln sich gegenseitig auf, versuchen, Avdiu mit sexistischen Kommentaren zu provozieren. Avdiu kontert gelassen, widmet sich dann wieder ihrem Kaffee und dem Gespräch. Die ungefragten Kommentare, die derben Beleidigungen, sie sind mit den Jahren zu einem ständigen Hintergrundrauschen in ihrem Leben geworden.

Zana Avdiu weiß, es geht gar nicht so sehr um sie als Person. Es geht darum, was sie verkörpert: Kritik an einer Gesellschaft, in der vor allem Männer den Ton angeben. "Ich bin hier, um diese Mentalität zu bekämpfen, die Gewalt akzeptiert, die Unterdrückung akzeptiert, die Herrschaft akzeptiert - diese Mentalität einer patriarchalischen und konservativen Gesellschaft", sagt sie.

Seit November 2023 hostet Zana Avdiu eine eigene TV-Sendung auf T7, Zanat. Es ist eine Talkrunde, wie sie Avdiu selbst zu Hunderten besucht hat. Doch ein entscheidendes Detail ist anders: Die Diskussionsteilnehmer sind vor allem Frauen. Avdiu sitzt in ihrer Mitte, moderiert, ruft auf, heizt ein. Sie sieht zufrieden aus.

Redaktion: Astrid Benölken

Porträt einer jungen Frau mit langen schwarzen Haaren
Vjosa Cerkini Themen: Kosovo, die anderen Westbalkan-Länder und deren Verbindungen zum Westen