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Europa nach dem Aus für South Stream

Yordanka Yordanova/Alexander Andreev12. Dezember 2014

Der Baustopp für die geplante Gas-Pipeline South Stream ist die russische Antwort auf die veränderte geopolitische Lage in Europa, sagt der bulgarische Politikwissenschaftler Ivan Krastev.

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Ivan Krastev, Centre for Liberal Strategies (Foto: Ivan Krastev)
Bild: Ivan Krastev

DW: South Stream wurde gestoppt – ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht, Herr Krastev?

Ivan Krastev: Das ist erstmal keine Nachricht. Die tatsächliche Nachricht besteht darin, dass Wladimir Putin den Stopp gerade in der Türkei bekannt gegeben hat.

Warum wird South Stream nicht gebaut?

Das ist kein Geheimnis. Die Sanktionen, die fallenden Ölpreise und der Kursverfall des Rubels haben dazu geführt, dass Russland einfach nicht über das notwendige Geld verfügt. Und die westlichen Investoren möchten lieber abwarten. Italien hat schon bekannt gegeben, dass South Stream kein Schwerpunkt mehr ist, auch Österreich ist auf Distanz gegangen. Die Krise hat die Position von Gazprom in Russland geschwächt. Und die Ukraine-Krise hat die geopolitische Konjunktur geändert, in der das Projekt entstanden ist. Für Moskau war South Stream ein Versuch, die strategische Lage der Ukraine als Transitland zu schwächen. Es war gleichzeitig der Versuch, Janukowitsch dazu zu bringen, an Gazprom 50 Prozent oder gar 100 Prozent der Pipeline zu verkaufen. Heute wird die Ukraine an Gazprom einfach nichts verkaufen wollen. Im Gegenteil – 50 Prozent der Pipeline werden an europäische und US-Firmen verkauft. Mit anderen Worten, in dem Augenblick, als die "höflichen" Männer von Speznaz (Spezialkräfte der russischen Armee) auf der Krim aufgetaucht sind, ist South Stream als Opfer im Konflikt Russlands mit dem Westen gefallen. Bis zum Ukraine-Konflikt haben die führenden europäischen Politiker mehrheitlich geglaubt, die wachsende gegenseitige Abhängigkeit im Wirtschaftsbereich zwischen Moskau und der EU mache einen Krieg in Europa unmöglich. Nach der Annektierung der Krim aber sind sie mittlerweile der Meinung, die Energieabhängigkeit von Russland sei eine Gefahr für die europäische Sicherheit.

Warum hat Wladimir Putin gerade jetzt die "türkische Karte" ausgespielt?

Die Türkei gehört zu den Großkunden für russisches Gas. Die Türkei ist gleichzeitig das einzige Nato-Land, das die Sanktionen gegen Russland nicht unterstützt. In diesem Sinne scheint Moskaus Entscheidung logisch. In den letzten zwei Jahren kann man allerdings die Beziehungen zwischen Moskau und Ankara nicht gerade als freundschaftlich bezeichnen. Die Türkei hat auf die Annektierung der Krim scharf reagiert, auch im syrischen Bürgerkrieg stehen beide Länder auf entgegengesetzten Positionen. Ein weiteres Beispiel ist Ägypten, wo Moskau die Militärs unterstützt und Ankara – die Moslembrüder. Zusammengefasst: Russland und die Türkei sind geopolitische Gegner. Laut Meinungsumfragen sind über 80 Prozent der Türken gegenüber Russland negativ eingestellt. Und das Wichtigste zum Schluss: In der europäischen Strategie zum Abbau der Energieabhängigkeit von Russland war gerade die Türkei das Schlüsselland. Denn über die Türkei läuft ja der südliche Korridor, der Europa mit nichtrussischem Gas beliefern kann.

Und jetzt wählt Putin gerade die Türkei als Transitland für das russische Gas nach Europa?

Er hat einfach keine andere Wahl. Der Versuch des Kremls, South Stream als Instrument zur Spaltung der EU zu benutzen, ist gescheitert. Mit der Annektierung der Krim hat Putin nicht nur die Ukraine, sondern auch Deutschland "verloren". Berlin hat seine Vermittlerrolle zwischen dem Westen und Russland aufgegeben und sich zum Wortführer des harten Kurses gegenüber Moskau profiliert. Ich erinnere daran, dass keines der South-Stream-Länder in der EU sein Vetorecht gegen die Russlandsanktionen genutzt hat. Bulgarien, Italien, Ungarn und Österreich wollten bei dem Projekt mitmachen und daran gewinnen, waren aber nicht bereit, dafür eine Konfrontation mit Brüssel oder Berlin zu riskieren. Die Annektierung der Krim hat Russland zwar in vielen Teilen der Welt viel Beifall gebracht, gleichzeitig aber hat Putin weltweit an politischem Einfluss verloren. In vielen Ländern kann man in den Medien und in den Online-Diskussionsforen Lob über Putin lesen, selbst die Protestierenden in Haiti bitten ihn um Unterstützung, aber Popularität ist nicht mit Einfluss gleichzusetzen. Im letzten Jahr ist der weltpolitische Einfluss Russlands dramatisch gesunken.

Wieso hat Putin gerade Bulgarien zum Hauptschuldigen für den Stopp von South Stream gemacht?

Auf dem ersten Blick ist der Stopp für Bulgarien (genauso für Serbien und Ungarn) ein Verlust. Die von Putin ausgesprochene Anschuldigung hat das Land aber paradoxerweise sofort zum einzigen Gewinner gemacht. Länder wie Ungarn und Serbien, die für das Projekt gekämpft haben, sind die Verlierer heute. Denn sie bekommen kein Gas, haben aber das Vertrauen der EU verloren. Bulgarien bekommt zwar auch kein Gas, hat sich aber das EU-Vertrauen erkämpft. Und die EU-Gelder fließen plötzlich wieder, nachdem sie ein Jahr lang auf Eis gelegt waren. Denn von den EU-Fonds profitiert Bulgarien viel mehr als von South Stream. Die EU ist der größte Handelspartner Bulgariens, die EU ist der größte Investor in Bulgarien, viele Bulgaren suchen Jobs oder Bildungsmöglichkeiten in EU-Ländern. Das verbreitete Klischee besagt zwar, dass Bulgarien und Russland geschichtlich und kulturell eng verbunden seien, tatsächlich aber zerrinnt der russische Einfluss in Bulgarien. Das ist auch mit einer der Gründe für die Enttäuschung Putins von Bulgarien.

Ivan Krastev ist Präsident des Zentrums für liberale Strategien in Sofia und Permanent Fellow des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen in Wien.