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Krieg in Gaza: Wie stark ist die Hamas?

7. April 2024

Seit fast sieben Monaten herrscht Krieg zwischen Israel und der Hamas. Trotz militärischer Übermacht Israels ist die Islamisten-Miliz nicht geschlagen. Ihre Stärke ist kaum exakt einzuschätzen. Doch es gibt Indizien.

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Zwei Menschen sind als Silhouette in einem dunklen Tunnel zu sehen
Das weitverzweigte Tunnelsystem bietet der Hamas weiterhin SchutzBild: Amir Cohen/REUTERS

Grundsätzlich waren sich Vertreter Israels und der USA in einer Videokonferenz Anfang April einig: Um die Hamas militärisch zu besiegen, müsse Israel die Gruppe auch in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens attackieren. "Sie (die Vertreter beider Staaten, Anm. d. Red.) waren sich über das gemeinsame Ziel einig, die Hamas in Rafah zu besiegen", heißt es in einer nach der Konferenz von beiden Seiten veröffentlichten Mitteilung. "Die US-Seite äußerte ihre Besorgnis über verschiedene Vorgehensweisen in Rafah. Die israelische Seite stimmte zu, diese Bedenken zu berücksichtigen."

Die Veröffentlichung deutet es an: Militärisch ist die von zahlreichen Ländern als Terrororganisation eingestufte Hamas noch nicht besiegt. Sie liefert sich auch nach mahr als einem halben Jahr Krieg weiterhin Kämpfe mit der israelischen Armee. Wie lange diese dauern, ist offen. Wie stark ist also die Hamas?

Schwer überprüfbare Zahlen 

Exakt lasse sich die Frage kaum beantworten, sagt der britische Polit-Analyst H. A. Hellyer vom Royal United Services Institute for Defence and Security Studies in London. Denn beide Seiten hätten Interesse daran, ihre Erfolge zu betonen. "Natürlich will die Hamas sagen, dass sie nicht ernsthaft geschlagen wurde, dass sie großartige Waffen hat oder ähnliches", so Hellyer. "Umgekehrt wollen die Israelis zum Ausdruck bringen, dass sie in ihren Zielen sehr erfolgreich waren. In dieser Hinsicht dürfte es also auf beiden Seiten eine Menge Propaganda geben. Ich nehme allerdings an, dass sie von den Israelis stärker betrieben wird, da sie an viel mehr Operationen beteiligt waren, die zudem ein Vielfaches an Opfern gefordert haben."

Hamas-Führer Jihia al-Sinwar spricht während einer Pressekonferenz, 2019
Von Israel gesucht: Jihia al-Sinwar, Kopf der Hamas im Gazastreifen, hier auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2019 Bild: Ashraf Amra/ZUMAPRESS/picture alliance

Deutlich spürbare Auswirkungen

Allerdings seien die Auswirkungen der Militärintervention durchaus spürbar, sagt Gil Murciano, geschäftsführender Direktor des Think Tanks Israeli Institute for Regional Foreign Policies. So nehme die Zahl abgefeuerter Raketen sehr deutlich ab - auch nahe der Grenze Israels zum Gazastreifen. "In diesem Gebiet ist die Zahl der Abschüsse wie auch der durch sie verursachten Verluste nahezu vollständig zurückgegangen." Zudem habe die Operation der israelischen Armee im mittleren Teil des Gazastreifens auch zur Zerstörung der Hauptproduktionslinien für fortschrittliche Waffen, Raketen, Drohnen und anderer Waffen geführt. "Das ist ein erheblicher Schaden für die militärischen Fähigkeiten, die die Hamas über viele Jahre aufgebaut hat."

Er gehe davon aus, dass rund 70 bis 80 Prozent des Raketenarsenals der Hamas zerstört worden sei, sagt Michael Milshtein, ehemals Angehöriger des israelischen Militärgeheimdienstes und heute Forscher am Moshe Dayan Center der Universität Tel Aviv. Das liege auch daran, dass es der Hamas zunehmend an Bauteilen fehle. "Der größte Teil des entsprechenden Nachschubs kam früher als Schmuggelware über den Grenzübergang bei Rafah. Der wird jetzt aber sehr penibel kontrolliert. Darum erhält die Hamas kaum noch Nachschub."

Probleme bereiteten der israelischen Armee allerdings weiterhin die Tunnel, so Milshtein. "Ich gehe davon aus, dass die Hamas noch über mindestens 50 Prozent ihrer Tunnel verfügt." Das mache ihre Bewegungen schwer berechenbar und biete ihren Kämpfern Schutz. 

Rapper ohne Hoffnung in Gaza

Hamas: erhebliche personelle Verluste

Personell hat die Hamas dem Militäranalysten Kobi Michael vom israelischen Think Tank Institute for National Security Studies zufolge erhebliche Verluste hinnehmen müssen. Die israelische Armee habe 20 von rund 24 Bataillonen der Hamas zerstört, so Kobi Mitte März auf der Webseite des Instituts. Auch habe man strategische Ziele und militärische Produktionsstätten der Hamas ausschalten können. Dennoch werde sich die Gruppe auch auf Grundlage verminderter Kapazitäten regenerieren können. So könnten die Milizen den israelischen Streitkräften zwar weiterhin zusetzen - "allerdings ohne die fortschrittlichen Raketenfähigkeiten, die während dieses Krieges gezeigt wurden".

Ähnlich sieht es auch Murciano. Die Hamas könne zwar noch in kleinen Gruppen auf Grundlage von Guerilla-Taktiken operieren. Aber auf Bataillonsebene sei sie nicht mehr funktionsfähig. Einzige in der Stadt Rafah seien noch vier Bataillone präsent. "Die wurden durch die israelische Armee zwar geschwächt, sind aber immer noch funktionsfähig."

Allerdings sehe sich Israel einer Herausforderung gegenüber, sagt Milshtein. Zwar habe die Armee etwa ein Drittel der rund 30.000 Mitglieder der Miliz getötet, so dass sie derzeit nur über rund 20.000 Kämpfer verfüge. Allerdings könne die Hamas diese Lücke recht schnell schließen. "Denn dafür muss sie nicht viel mehr tun als junge Palästinenser zu rekrutieren. "Das dürfte ihr kaum Probleme bereiten. Denn in Gaza gibt es viele junge Palästinenser, die sich der Hamas anschließen wollen."

Ein zerstörtes Haus in Gaza
Ein zerstörtes Haus im Gazastreifen (Aufnahme vom 20.03.2024)Bild: Ashraf Amra/Anadolu/picture alliance

Eine diffuse Bedrohung

So dürfte Israel wohl noch über längere Zeit mit dem anhaltenden bewaffneten Widerstand der Hamas konfrontiert sein, heißt es in einem Report des Office of the Director of National Intelligence der USA. "Das Militär wird damit beschäftigt sein, die Untergrundinfrastruktur der Hamas zu neutralisieren." 

Die Hamas dürfte keine derartige Bedrohung mehr sein wie noch vor einigen Monaten, meint H. A. Hellyer. "Ich glaube nicht, dass die Hamas in der Lage ist, einen ähnlichen Anschlag wie am 7. Oktober zu verüben. In dieser Hinsicht dürfte sie enorm zurückgeworfen worden sein."

Politische Kampagne unverzichtbar

Was es aber brauche, sei eine politische Kampagne, so Murciano. "Für den Gazastreifen ist eine politische Alternative nötig. Wenn man die nicht schafft, bringen die militärischen Erfolge letztlich gar nichts. Es gilt zu verhindern, dass im Gazastreifen ein politisches Vakuum entsteht. Denn das wird umgehend wieder militärisch gefüllt."

Gaza-Helfer: Situation "nicht in Worte zu fassen"

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika