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Krieg in Libyen nimmt an Schärfe zu

2. Mai 2011

Nach dem NATO-Luftschlag auf eine Residenz von Machthaber Gaddafi sind in Tripolis mehrere Auslandsvertretungen angegriffen und zerstört worden. Großbritannien verwies daraufhin den libyschen Botschafter des Landes.

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Libysche Frauen vor der zerstörten Residenz (Foto: dpa)
Proteste vor den Trümmern der Gaddafi-ResidenzBild: picture-alliance/dpa

Der Krieg in Libyen nimmt an Schärfe zu. Nach Übergriffen auf die leerstehende britische Botschaft in Tripolis, die dabei offenbar zerstört wurde, hat Großbritannien den libyschen Botschafter Omar Dschelban des Landes verwiesen. Außenminister William Hague sagte am Sonntag (01.05.2011), der libysche Botschafter sei "persona non grata" (unerwünschte Person) in Großbritannien. Er habe 24 Stunden Zeit, das Land zu verlassen.

"Ich verurteile die Angriffe auf die Gebäude der britischen Botschaft in Tripolis genauso wie die Angriffe auf die Vertretungen anderer Länder", sagte Hague. Das Gaddafi-Regime müsse die diplomatischen Vertretungen schützen. Das Regime habe erneut seine internationalen Verpflichtungen verletzt.

Auch USA und Italien protestieren

William Hague hält Rede an einem Pult stehend (Foto: AP)
Außenminister Hague erklärte den libyschen Botschafter zur unerwünschten PersonBild: AP

Das US-Außenministerium in Washington verurteilte die Attacken ebenfalls auf das Schärfste. "Die Wiener Konvention fordert, dass das Gaddafi-Regime diplomatische Missionen in Tripolis schützt", hieß es in einer Erklärung. "Wenn es das nicht leistet, hat das Regime erneut gegen seine internationale Verantwortung und Verpflichtung verstoßen." Die US-Vertretung sei von einer "organisierten Menge" attackiert worden, zitierte der TV-Sender CNN einen amerikanischen Regierungsvertreter.

Auch die italienische Regierung in Rom geißelte die "Akte des Vandalismus", die am Sonntagmorgen gegen ihre Botschaft und andere Vertretungen verübt worden seien.

Die Vereinten Nationen zogen unterdessen ihr ausländisches Personal aus Tripolis ab. Grund seien die "Unruhen in einigen Teilen der Stadt", sagte eine UN-Sprecherin in New York. Zwölf ausländische Mitarbeiter der UN hätten die Stadt "vorübergehend" verlassen und seien nach Tunesien gebracht worden.

Libyen äußert Bedauern

Der stellvertretende libysche Außenminister Chalid Kaim bedauerte die Übergriffe. Er sagte laut CNN, die Polizei sei von der Menge überwältigt worden, die wegen des vorangegangenen NATO-Angriffs wütend gewesen sei.

Er bezog sich damit auf einen Luftschlag der Militärallianz, bei dem ein Sohn von Machthaber Muammar al-Gaddafi, Saif al-Arab, sowie drei Gaddafi-Enkel ums Leben gekommen sein sollen. Die Aufständischen im Osten des Landes vermuten eine gezielte PR-Aktion.

Rebellen bezweifeln Tod eines Gaddafi-Sohnes

Als der libysche Regierungssprecher Mussa Ibrahim den Tod von Saif al-Arab al-Gaddafi verkündete, brach unter vielen von ihnen zwar Jubel aus. Doch viele Regimegegner sind auch skeptisch. Alles sei ausgedacht, um den Machthaber als tapferen Führer darzustellen, der seinen Kampfgeist selbst nach dem Verlust des eigenen Kindes nicht verliert.

Laut der Darstellung von Regierungssprecher Mussa Ibrahim starben bei dem Luftangriff auf das Haus von Saif al-Arab in Tripolis insgesamt fünf Menschen. Muammar al-Gaddafi und seine Ehefrau, die sich ebenfalls in dem Gebäude aufgehalten haben sollen, überlebten die Attacke jedoch nach Angaben des Sprechers unverletzt. Zugleich warf er der NATO vor, gezielt gegen die libysche Regierung vorgegangen zu sein. "Dies war ein direkter Anschlag, um den Führer dieses Landes zu ermorden."

Unbestätigte Berichte aus Tripolis

Beweise liegen bislang nicht vor - weder für die eine noch für die andere Version der Ereignisse von Samstagnacht. Der britische Premierminister David Cameron sagte am Sonntag in einem Fernsehinterview, es handele sich bisher lediglich um einen "unbestätigten Bericht" der Regierung in Tripolis, den er nicht weiter kommentieren wolle.

Trümmer eines von Luftangriffen zerstörten Gebäudes (Foto:AP)
Machthaber Gaddafi soll bei dem Angriff unbeschadet davon gekommen seinBild: AP

Aber ausländische Reporter, die von Behördenvertretern geführt wurden, um das bei dem Luftangriff zerstörte Gebäude zu besichtigen, sagten hinterher, es sei schwer vorstellbar, dass ein Mensch dieses Gebäude unverletzt habe verlassen können. In einem Internet-Forum der Aufständischen schreibt ein Gegner Gaddafis: "Meine Brüder, wenn dieses Gebäude von vier Raketen getroffen wurde, dann muss jeder gestorben sein, der sich darin aufhielt."

Er glaube, die Nachricht vom Tod des einzigen Gaddafi-Sohnes, der keinerlei offizielle Funktion ausübt, sei genauso falsch, wie das Dementi zum Tod von Gaddafis Sohn Chamies im vergangenen Monat. Damals hatten die Aufständischen gemeldet, ein Kamikaze-Pilot habe Chamies, der die am besten ausgerüstete Brigade der Streitkräfte befehligte, in Tripolis getötet.

NATO rechtfertigt sich

Die NATO wies die Vorwürfe der libyschen Regierung zurück, Gaddafi und seine Familie ins Visier genommen zu haben. "Alle NATO-Angriffe sind militärischer Natur. Sie richten sich nicht auf Einzelpersonen", sagte der NATO-Befehlshaber für den Libyen-Einsatz, der kanadische General Charles Bouchard.

Der Tod des Machthabers sei nicht das erklärte Ziel der NATO. Bei den Luftangriffen sei ein Kommandozentrum getroffen worden. Bouchard räumte jedoch ein, er sei sich der unbestätigten Medienberichte über den Tod einiger Familienmitglieder Gaddafis bewusst und fügte hinzu: "Wir bedauern jeden Verlust an Menschenleben."

Französischer Kampfjet (Foto: AP)
Haben die Piloten Gaddafi im Visier?Bild: AP

Russland kritisiert Luftschläge

Falls sich die libyschen Behauptungen bestätigen sollten, könnte die NATO in Bedrängnis kommen. Kritiker werfen der Allianz vor, ihr Mandat der Vereinten Nationen zu überschreiten und Gaddafi töten zu wollen. Der außenpolitische Sprecher des Unterhauses im russischen Parlament, Konstantin Kosachew, sagte, "Mehr und mehr Informationen deuten darauf hin, das die anti-libysche Koalition die leibhaftige Vernichtung Gaddafis zum Ziel hat."

Der Tod von Familienangehörigen Gaddafis stehe im klaren Widerspruch zur Resolution des Weltsicherheitsrats, in der Angriffe nur zum Schutz von Zivilisten erlaubt seien. Der venezolanische Präsident Hugo Chavez, ein langjähriger Verbündeter Gaddafis, sprach ebenfalls von einem Mordversuch.

Der jüngste Luftangriff war der zweite innerhalb von 24 Stunden, der Ziele in Gaddafis Nähe traf. Bereits am Samstag hatten NATO-Kampfflugzeuge drei Ziele in der Nähe eines Fernsehsender-Gebäudes getroffen, während Gaddafi eine Fernsehansprache hielt. Darin bot er einen Waffenstillstand und Verhandlungen mit der Allianz an, lehnte einen Rücktritt aber weiter ab. Die Rebellen und die NATO lehnten den Vorstoß umgehend als unzureichend ab.

Wieder Tote im Kampf um Misrata

Beim erneuten Beschuss der belagerten Hafenstadt Misrata sind nach Angaben eines Arztes am Sonntag mindestens zwölf Menschen getötet worden. Damit ist die Zahl der Opfer in der Stadt am Wochenende auf 23 gestiegen.

Am Morgen beschossen Gaddafis Truppen den Hafen laut Augenzeugen, während die Ladung eines maltesischen Schiffs mit Hilfslieferungen gelöscht wurde. Das Schiff sei rasch wieder in See gestochen. Die belagerte Stadt ist auf Hilfslieferungen über den Seeweg angewiesen.

Am Nachmittag schlugen dann erneut Dutzende Raketen im Hafengebiet ein und lösten Feuer aus. Dabei seien auch Container mit Hilfslieferungen in Brand geraten, berichtete ein Besucher des Hafenrestaurants, der leicht verletzt wurde.

Autorin: Eleonore Uhlich (dpa, rtr, afp, dapd)
Redaktion: Thomas Grimmer