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Kriegsangst und Armut sorgen junge Deutsche am meisten

Helen Whittle
15. Oktober 2024

Nach der jüngsten Shell-Jugendstudie interessieren sie sich außerdem mehr denn je für Politik. Viele Jugendliche blicken auch überraschend positiv auf Staat und Gesellschaft.

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Zwei junge Frauen blicken besorgt.
Bild: U. Grabowsky/photothek/picture alliance

Laufende Kriege, die immer dramatischeren Auswirkungen des Klimawandels und die wachsende politische Polarisierung sind nur einige der Sorgen, die junge Menschen in Deutschland heute beschäftigen, so die Ergebnisse der neuen Shell Jugendstudie. Unter dem Titel "Pragmatismus zwischen Ernüchterung und dem Bekenntnis zur Vielfalt" befragte die Untersuchung insgesamt 2.509 Jugendliche im Alter von 12 bis 25 Jahren zu den Themen Politik, Gesellschaft und Umwelt. Die Autoren der Studie des gleichnamigen Ölkonzerns, die seit 1953 alle fünf Jahre durchgeführt wird, schreiben, sie zeichne ein "nuanciertes Profil" einer Generation, die "sowohl Probleme als auch Handlungsbedarf" erkenne.

Eine Mehrheit blickt überraschend optimistisch in die Zukunft

Obwohl die Studie ergab, dass viele junge Menschen empfänglich für populistische Positionen sind, gibt es keine Anzeichen dafür, dass sie sich von der Demokratie oder der Gesellschaft abwenden. Im Gegenteil: Die Mehrheit ist optimistisch in Bezug auf die Zukunft und die Möglichkeiten, die ihnen Staat und Gesellschaft bieten. "Das ist eines der interessantesten, zugleich auch eines der rätselhaftesten und am wenigsten erwarteten Ergebnisse", sagt Mathias Albert, Politikwissenschaftler an der Universität Bielefeld und einer der Autoren der Studie.

Das Vertrauen in staatliche Institutionen, das politische System und die Demokratie ist trotz Kritik an fehlenden Lösungen in der Politik sowie Ängsten vor Krieg und wirtschaftlichen Unsicherheiten nach wie vor hoch. Die plausibelste Erklärung dafür, so Mathias Albert, wäre, dass die heutige junge Generation die enorme Krise der COVID-19-Pandemie erlebt habe, aber auch, wie die demokratische Gesellschaft diese gemeistert hat: "Die meisten von ihnen haben in ihren prägenden Jahren erlebt, dass eine große Krise – ob besser oder schlechter – von der Gesellschaft bewältigt wurde, und ich denke, daraus ziehen sie viel Optimismus."

Mädchen und Jungen interessieren sich gleichermaßen für Politik

Die Studie zeigt, dass das politische Interesse junger Menschen im Rahmen eines langfristigen Trends in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich gestiegen ist: 55 Prozent der Befragten gaben an, politisch interessiert zu sein, gegenüber einem historischen Tiefstand von etwas mehr als 34 Prozent im Jahr 2002. Zum ersten Mal überhaupt hat sich auch die Geschlechterlücke geschlossen, da sich ebenso viele Mädchen und junge Frauen für Politik interessieren wie ihre männlichen Altersgenossen. Die Bereitschaft, sich aktiv politisch zu engagieren, ist von 22 im Jahr 2002 auf 37 Prozent im Jahr 2024 gestiegen. Laut den Autoren handelt es sich hierbei nicht nur um einen kurzfristigen Effekt der sogenannten "Generation Greta (Thunberg)".

Angst vor Krieg in Europa und Armut sind die größten Sorgen

Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine steht die Angst vor einem Krieg in Europa bei den Sorgen junger Menschen in Deutschland an oberster Stelle: 81 Prozent der Befragten halten dies für möglich – ein enormer Anstieg gegenüber 46 Prozent im Jahr 2019. 67 Prozent gaben an, Angst vor Armut zu haben, ein Anstieg von 52 Prozent im Jahr 2019. Die Studie zeigt jedoch auch, dass immer weniger junge Menschen Angst vor Arbeitslosigkeit oder der Schwierigkeit, einen Ausbildungsplatz zu finden, haben – nur etwa ein Drittel (35 Prozent) nannte dies als Sorge, der niedrigste Wert seit Beginn der Veröffentlichung der Shell Jugendstudie im Jahr 1953.

Der Klimawandel (63 Prozent) und Umweltverschmutzung (64 Prozent) bleiben weiterhin wichtige Anliegen für die Mehrheit junger Menschen, obwohl sich deutlich weniger um Umweltverschmutzung sorgen als noch 2019 (71 Prozent). Ähnlich viele junge Menschen (64 Prozent) sorgen sich um die wachsende Feindseligkeit zwischen Menschen, ein Anstieg von 56 Prozent im Jahr 2019. Fast ebenso viele äußern sich besorgt über Fremdenfeindlichkeit (58 Prozent), die deutlich häufiger genannt wurde als die Angst vor weiterer Zuwanderung (34 Prozent) nach Deutschland.

Russlands großangelegter Einmarsch in die Ukraine, der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und Israels anschließende militärische Reaktion im Gazastreifenhaben laut der Studienautoren die Ansichten junger Menschen zu bestimmten Themen verändert. Derzeit sind 69 Prozent der 15- bis 25-Jährigen für ein starkes NATO-Bündnis, während nur 6 Prozent dagegen sind. Die Forscher stellten zudem kaum Unterschiede in den Meinungen zu diesem Thema zwischen jungen Menschen in Ost- und Westdeutschland fest.

Die Folgen der Weltpolitik sind konkreter geworden

"Junge Menschen haben erkannt, dass die Weltpolitik nicht irgendwo da draußen ist; man kann ihr nicht länger ausweichen", erklärt Mathias Albert. "Selbst wenn man nicht besonders politisch interessiert ist, muss man darüber nachdenken, sobald ein ukrainischer oder anderer Geflüchteter in deiner Schulklasse auftaucht."

Unter den 15- bis 25-Jährigen stimmen 60 Prozent der Aussage zu, dass "Russland die Ukraine angegriffen hat und dafür bestraft werden muss", während nur 13 Prozent (21 Prozent im Osten) dies explizit anders sehen. Allerdings geht die Verurteilung Russlands nicht mit uneingeschränkter militärischer Unterstützung für die Ukraine einher: 50 Prozent wollen, dass Deutschland die Ukraine militärisch unterstützt (44 Prozent im Osten und 52 im Westen). Im Gegensatz dazu lehnen 24 Prozent eine militärische Unterstützung der Ukraine ab (22 Prozent im Westen und 34 im Osten).

Israel- und Gaza-Konflikt umstrittene Themen

Junge Menschen im Alter von 15 bis 25 Jahren sind in ihrer Bewertung von Israels militärischer Reaktion auf den Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 gespalten. Etwas weniger als ein Drittel (30 Prozent) befürworten die Entscheidung Deutschlands, sich auf die SeiteIsraelszu stellen – aber ebenso viele lehnen dies ab, und rund 27 Prozent sind unentschlossen. 52 Prozent der Befragten wollen, dass Deutschland das Leid der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen klarer anerkennt – nur 11 Prozent sehen dies anders, und 26 sind unentschlossen.

Rund ein Drittel der jungen Menschen (32 Prozent) betont Deutschlands besondere Verantwortung gegenüber Israel. Ebenso viele sind explizit anderer Meinung, und etwa der gleiche Anteil bleibt unentschlossen.

Es gibt deutliche Meinungsunterschiede zwischen jungen Menschen, die selbst oder deren Eltern aus einem arabischen Land oder der Türkei nach Deutschland eingewandert sind, und denen ohne solchen Migrationshintergrund. Etwa ein Viertel (26 Prozent) derjenigen mit Migrationshintergrund aus einem arabischen Land oder der Türkei stimmen zu, dass Deutschland eine besondere Verantwortung gegenüber Israel hat, während 42 Prozent dies explizit ablehnen.

Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.