Kriegsschauplatz Cyberspace?
2. Juli 2017"Der Cyber-Geist ist aus der Flasche, und er lässt sich auch nicht mehr reindrücken", sagt Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Militärische Konflikte der Zukunft werden auch im Cyberbereich stattfinden. Und deswegen sei es notwendig, dass sich auch die Sicherheitskonferenz vermehrt mit den sicherheitspolitischen Folgen beschäftigt. Deutschland habe dabei einen großen Nachholbedarf.
Nach dem Silicon Valley im letzten Jahr hielt man erstmals den "MSC Cyber Security Summit" in Tel Aviv ab, gemeinsam mit der Deutschen Telekom. Am Rande der israelischen "Cyber Week" diskutierten hier rund 120 Teilnehmer aus Wirtschaft, Politik, Militär und Wissenschaft, wie Infrastruktur und Demokratie im digitalen Zeitalter geschützt werden können.
Petya, WannaCry – immer öfter sorgen Schadsoftware und weltweite Hackerattacken für erhebliche Störungen und Chaos. Die Bedrohungslage im Cyber-Bereich habe sich weiterentwickelt vom bloßen Lahmlegen von Websites hin zu Angriffen auf Infrastruktur oder gar Wahlen. Zuletzt hatte vergangene Woche eine globale Cyberattacke offenbar gezielt auch Institutionen in der Ukraine im Visier. Zuvor war das britische Parlament Ziel von Hackern.
Im Mai hinterließ der Trojaner WannaCry ein digitales Trümmerfeld in über 150 Ländern und zeigte, wie verwundbar viele Staaten heutzutage gerade in dem Bereich sind. "Wir haben einen großen Nachholbedarf im Cyberbereich", sagt Ischinger im Gespräch mit der DW. "Ich nehme an, dass viele Bürger bei uns in Deutschland, aber auch in anderen Staaten entsetzt darüber sind, dass staatliche Organe in ganz Westeuropa, ja sogar in den USA, die Hände ringen und hilflos vor 'Wanna Cry' stehen. Da wird dieser Virus losgelassen und bei den Regierungen, die ja eigentlich dazu da sind, die Bevölkerungen und Institutionen zu schützen vor Angriffen jeglicher Art, gibt es nur allgemeine Hilflosigkeit."
Israelisches Know-How gefragt
Tel Aviv wurde nicht zufällig als Konferenzort ausgewählt. "Hier in Israel ist einfach der Nabel der Welt der Cybersecurity heute", sagt Thomas Kremer, Vorstandsmitglied bei der Deutschen Telekom im Gespräch mit der DW. Auch er spricht von einem großen Nachholbedarf in Deutschland im Bereich der Cybersecurity. "In Israel gibt es die meisten Start-ups die sich mit Sicherheitsthemen beschäftigen und wir haben hier eine sehr starke Förderung von Unternehmen, auch von Unternehmertum, darum passiert hier sehr viel in dem Bereich", sagt Kremer.
"Cyberangriffe sind eigentlich unsere tägliche Realität – und es betrifft jeden, auch private Nutzer. Pro Tag gibt es ungefähr 300.000 Software-Varianten weltweit. Das heisst, sie müssen sich ständig mit Angriffen auseinandersetzen", sagt Kremer.
Manipulation von Wahlen nicht ausgeschlossen
Angesichts der jüngsten Cyberangriffe braucht es vor allem Zusammenarbeit, meint der israelische Sicherheitsexperte Amos Gilad. "Cyber wird immer wichtiger, es hinterlässt keine Spuren aber die Bedrohung wächst", sagt Gilad. "Es ist eine strategische Bedrohung wenn damit Einfluss auf nationale Wahlen in demokratischen Ländern gewonnen wird - genauso wenn ganze Systeme wie Elektrizitätsnetze lahm gelegt werden." Auch Wahlmanipulationen seien nach den Erfahrungen in den USA keineswegs mehr undenkbar.
Ob auch die bevorstehenden Bundestagswahlen im September in Deutschland ein Ziel von Hackern werden könnten, darüber will man hier nicht spekulieren, aber "es wäre ein Albtraum, wenn ein ausländischer Feind die Wahl von Politikern entscheiden könnte", so Gilad, früher Leiter der militärisch-politischen Abteilung im israelischen Verteidigungsministerium.
Datenschutz und Terrorbekämpfung
Das Bedürfnis nach mehr Sicherheit im Cyberbereich hat aber auch seine Kehrseiten. Umfassende Datenerfassung der Geheimdienste ist zumindest in Deutschland ein umstrittenes Thema. In Israel stammen viele der Start-ups aus dem Militärbereich, umfassende Datenerfassungen der Geheimdienste werden hier zu Grunde gelegt.
Ganz anders die Ausgangsbedingungen in Deutschland: "Bei uns gilt der Schutz der Daten der Privatsphäre als ein besonders hohes Gut, die Israelis sind eher am anderen Ende des Spektrums. Die sagen, bei uns wäre der Teufel los, wenn der Staat nicht im Stande ist, die erforderlichen Daten abzugreifen", sagt Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz.
Es sei wichtig diese Diskussion jetzt zu führen und Erfahrungswerte zu sammeln. Israelische Sicherheitsexperten wie Amos Gilad warnen davor, die Cyberbedrohung zu unterschätzen. "Wir leben in dunklen Zeiten, in denen sich Demokratien verteidigen müssen. Wenn das nicht passiert, wird der Feind kein Erbarmen kennen."