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Krim-Tataren und die Türkei

Senada Sokollu9. März 2014

Die turkstämmige muslimische Minderheit auf der Krim möchte keine Abspaltung der Halbinsel von der Ukraine. Die Ängste vor einer russischen Intervention sind groß. Daher hofft man auf Hilfe aus der Türkei.

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Ukraine Krim Tataren Moschee in Bakhchisaray (Foto: DW/Filip Warwick Bakhchisaray)
Bild: DW/F. Warwick

Der Konflikt um die Krim zwischen der Ukraine und Russland spitzt sich zu. Die Sorge vor einer Abspaltung der Halbinsel wächst - insbesondere unter den fast 300.000 Krim-Tataren. Es handelt sich dabei um Nachkommen der Menschen, die während der 300-jährigen Herrschaft des Osmanischen Reiches über der Krim den sunnitischen Islam als ihre Religion und Türkisch als Amtssprache übernommen haben. Sie zählen sie zu den Turkvölkern und machen laut Angaben des türkischen Außenministeriums 13 Prozent der Bevölkerung auf der Krim aus. Ankara fühlt sich ethnisch und kulturell mit den Krim-Türken, wie man sie in der Türkei nennt, verbunden und bemüht sich nun um eine friedliche Lösung des Konflikts.

Diplomatische Gespräche

Anfang März traf sich der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu mit 50 Repräsentanten des türkischen Krim-Vereins in Ankara. Bei dem Treffen betonte er, dass die Türkei immer auf der Seite der Krim-Tataren stehen werde. "Wo auch immer unsere Brüder und Schwestern leiden, werden wir die ersten sein, die helfen", so Davutoglu.

Kurz zuvor war er in Kiew gewesen, um mit Vertretern der neuen ukrainischen Regierung zu sprechen. Er betonte, dass die territoriale Integrität der Ukraine geschützt werden müsse. Der türkische Außenminister übte keine offene Kritik an Russland, sondern plädierte für eine friedliche Beilegung des Konflikts.

Krim-Tataren demonstrieren gegen die Abspaltung von Krim (Foto:EPA/ARTUR SHVARTS)
Die Krim-Tataren wollen Teil der Ukraine bleibenBild: picture-alliance/dpa

Teil der diplomatischen Bemühungen war auch ein Telefongespräch des türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdogan mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin. Laut Medienberichten warnte Erdogan vor einer Destabilisierung der Region und forderte Putin dazu auf, sich für ein friedliches Zusammenleben von Ukrainern, Tataren und Russen einzusetzen.

Eine Vermittlerrolle der Türkei ist auch in Kiew gewünscht. Laut der türkischen Nachrichtenagentur Cihan habe die ukrainische Botschaft in Ankara die türkische Regierung dazu aufgefordert, sich an internationalen Bemühungen zu beteiligen, um die Spannung mit Russland zu lösen. In einer E-Mail sei davor gewarnt worden, dass den Krim-Tataren eine "große Gefahr" bevorstünde, sollte Russland die Krim besetzen.

Krim-Türken im Fokus der türkischen Öffentlichkeit

Solche Warnungen bleiben in der Türkei nicht ungehört. In der Berichterstattung über die Ereignisse in der Ukraine fokussieren sich die türkischen Medien auf die Krim-Türken. Gleichzeitig versuchen Vertreter der Krim-Tataren in der Türkei zunehmend, sich Gehör in der türkischen Öffentlichkeit zu verschaffen. "In Ankara, Istanbul, Antalya und anderen türkischen Städten sind die Menschen bereits auf die Straße gegangen, um zu protestieren. Organisiert wurde das alles von der Krim-Vereinigung in der Türkei", so der Geschichtsprofessor Hakan Kirimli, ein ethnischer Krim-Tatar und Mitglied des türkischen Krim-Vereins, im DW-Gespräch.

Ein Mann verteilt Süßigkeiten von einer Moschee der Krimtataren in der Krim-Hauptstadt Simferopoll (Foto: AP Photo / Sergei Chuzavkov)
Krim-Tataren vor einer Moschee im SimferopollBild: AP

Die rund fünf Millionen Krim-Tataren, die in der Türkei leben, seien wütend über die momentanen politischen Entwicklungen, sagt er. "Sie demonstrieren gegen eine russische Invasion in ihr Heimatland, die Ukraine und setzen sich für den Erhalt der territorialen Unversehrtheit des Landes ein", so Kirimli. Sie seien ganz klar gegen eine Annexion der Krim an Russland, betont der Professor. "Der Grund für diese Anti-Russland-Haltung ist die schlechte Erfahrung, die sie mit der russischen Herrschaft gemacht haben, die über 200 Jahre andauerte." Sie befürchten, dass sich die Geschichte wiederholen könnte, und "machen sich große Sorgen um ihre Zukunft", so Kirimli.

Anti-Russland-Gefühl tief verwurzelt

Von 1475 bis 1774 war die Halbinsel Krim Teil des Osmanischen Reiches. Nach dem Russisch-Osmanischen Krieg (1770-1774) erlangte die Krim ihre Unabhängigkeit. "1783 annektierte das Russische Reich aber die Krim und machte sie zur russischen Provinz", erklärt der Historiker Kahraman Sakul im DW-Gespräch. 1944 habe Stalin ein Gesetz verabschiedet, welches die Krim-Tataren als Verräter der Sowjetunion bezeichnete, da es Tatar-Legionen gegeben habe, die auf der Seite der Nazis kämpften, so der Historiker. "Daraufhin wurden alle Krim-Tataren von der Halbinsel vertrieben. Erst ab 1990, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und mit der Unabhängigkeit der Ukraine, begann die Rückkehr der Krim-Tataren in Richtung Krim", erklärt Sakul.

Die Ukrainer unterstützen die Besiedlung der Halbinsel durch die Krim-Tataren, weil die Mehrheit der Krim-Bewohner russischer Abstammung ist, so Sakul. "Sie wollen mehr Krim-Tataren auf der Halbinsel haben. Die Ukrainer und die Krim-Tataren sind natürliche Verbündete im Kampf gegen das russische Eindringen in der Region", so Sakul.

Türkische Außenpolitik und die Krim-Türken

Die türkisch-ukrainischen Beziehungen basieren vorwiegend auf der Politik gegenüber den Krim-Tataren, sagt Sakul. "Ab 1990 investierte die Türkei vor allem in den kulturellen Bereich. Es gibt auch in der Ukraine viele Tatar-Vereinigungen. Sie sollen als Brücke zwischen der Türkei und der Ukraine dienen. Auch die Ukraine unterstützte diese kulturellen Projekte. Es ist ein gemeinsamer Schutz durch kulturelles Engagement", so der Historiker.

Auseinandersetzung der Krim-Tataren und Krim-Russen in der Nähe des Parlaments in Simferopol (26.2.) (Foto:REUTERS/Baz Ratner)
Erste Scharmützel - Krim-Tataren und Krim-Russen in der Nähe des Parlaments in Simferopol (26.2.)Bild: Reuters

Die Türkei ist gegen eine Intervention Russlands in der Ukraine, eine wesentliche Verschlechterung der Beziehungen zu Moskau will man aber vermeiden. Eine Transformation der Krim-Krise in eine türkisch-russische Krise würde die Türkei nicht zulassen, sagte der türkische Außenminister Davutoglu. Gleichzeitig bot er an, "bei der Verbesserung der ukrainisch-russischen Beziehungen zu helfen".

Und auch die Krim-Tataren wollen einen Konflikt vermeiden - sie wüssten, dass sie die ersten Opfer der russischen Armee wären, sagt Halan Kirimli. "Außerdem kennen sie den Hass der paramilitärischen Russen gegen ihre Ethnie. Daher will niemand von ihnen einen Krieg", so Kirimli.