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Sudan: Vergewaltigungen als Kriegswaffe

Mariel Müller | Martina Schwikowski
7. Juli 2024

Der Konflikt im Sudan entwickelt sich zur größten Vertreibungskrise weltweit. Frauen und Kinder berichten von weit verbreiteter sexualisierter Gewalt. Die DW sprach mit Überlebenden von Vergewaltigungen.

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Junge Sudanesin sitzt in dunklem Gewand vor ihrer Strohhütte, bedeckt mit heller Plane, im Sand in Adre
Eine junge Sudanesin hat sexuelle Gewalt in El Geneina, West Darfur erlebt und flüchtete nach Adre in den TschadBild: Zohra Bensemra/REUTERS

Halima (Name geändert) lebte schon in vielen Flüchtlingslagern - die Erinnerung an die häufigen Übergriffe dort halten sie nachts wach, sagte sie zur DW. Im Juni 2023 griffen Kämpfer der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) das Gebiet von El Geneina an, der Hauptstadt von West-Darfur, wo sie mit ihrer Familie lebte.

Halima hörte die Kämpfer auf ihren Motorrädern ankommen. "Vier von ihnen bedrohten mich mit Gewehren. Einer würgte mich am Hals und vergewaltigte mich", sagt die junge Frau. Sie erlitt mehrere Verletzungen, konnte aber schließlich fliehen und die Grenze zum Tschad überqueren. Dort fühlte sie sich sicher - erhielt aber keine medizinische Hilfe, die sie nach der Tortur dringend benötigte.

Viele Frauen und Kinder in Lagern im Tschad erzählen von solchen Erlebnissen. Berichte über sexualisierte Gewalt in Lagern haben zugenommen.

Agari Lager im Sudan: Menschen, in bunten Gewändern, stehen dicht gedrängt Schlange und warten auf Nahrungsmittel
Menschen stellen sich in einem Lager für Binnenvertriebene in Zentralsudan an, um sich für mögliche Nahrungsmittelhilfe zu registrierenBild: Guy Peterson/AFP

Geschlechtsspezifische Gewalt 

Die meisten Menschen, die vor dem Krieg in Sudan über die Grenze geflohen sind, leben jetzt in Lagern im Osten des Tschad - in Orten wie Adre. Halima ist eine von ihnen. Sie glaubt, dass die RSF-Miliz sie vor allem deshalb vergewaltigt hat, weil sie der ethnischen Gruppe der Massalit angehört. Die Massalit zählten zur Mehrheitsbevölkerung in der Stadt El Geneina - bis die RSF im vergangenen Jahr brutal gegen die Bürger dort vorging. 

Eine andere junge Frau im Lager, Hadija (Name geändert), bestätigt Halimas Eindruck. Sie erinnert sich, wie ihr Angreifer sie nach ihrer ethnischen Zugehörigkeit fragte. "Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich Massalit bin", sagte sie der DW. "Ich sagte, ich gehöre zu den Fur." Er drohte ihr, sie zu töten, wenn sie Massalit sei, und fügte hinzu, dass die Massalit in Zukunft kein Land mehr im Sudan besitzen würden.

Eine Afrikanerin mit rot-beigem Gewand und Kopfbedeckung zeigt eine Nahrungsmittelkarte
Vor allem Frauen und Kinder fliehen laut Hilfsorganisationen über die Grenze in Nachbarländer des SudanBild: MOHANED BELAL/AFP

Hawa (Name geändert) überlebte einen ähnlichen Angriff im Juni 2023. Ein RSF-Kämpfer drang in ihr Haus ein und erschoss ihren 20-jährigen Cousin, verprügelte ihre Mutter und ihre Tante. "Er schlug auch mich, mit einer Peitsche, einem Stock und einem Wasserbehälter", sagte sie. "Dann warf er mich aufs Bett und vergewaltigte mich." Erst einige Tage später konnte sie in ein Krankenhaus.

Die Berichte dieser Überlebenden werden von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bestätigt, die zahlreiche ähnliche Gräueltaten dokumentiert hat und vor einem möglichen Völkermord an den Massalit in West-Darfur warnt.

Die RSF reagierte nicht auf die Anfragen der DW nach einem Kommentar. 

Die größte Vertreibungskrise der Welt

Seit über einem Jahr kämpfen die sudanesischen Streitkräfte gegen die RSF in einem brutalen Kampf um die Kontrolle des Landes. Der Konflikt hat seit April 2023 Millionen von Menschen in die Flucht getrieben, bis jetzt dürfte die Zahl der Vertriebenen auf etwa zwölf  Millionen angestiegen sein. Davon haben mehr als zwei Millionen Menschen seit Ausbruch des Konflikts in den Nachbarländern Zuflucht gesucht, wie das International Rescue Committee (IRC) berichtet. Die große Mehrheit - über zehn Millionen Menschen - bleibt jedoch im Sudan. Es ist die größte Vertreibungskrise der Welt. Hilfsorganisationen weisen darauf hin, dass es zu wenig Geld gibt, um die Situation im Sudan und in der gesamten Region bewältigen zu können.

Sudanesische Frau in einem Flüchtlingslager im Tschad. Sie trägt einen dunklen Kaftan mit bunten Blumen und ist von hinten zu sehen zwischen Strohhütten
Sudan: Viele Frauen berichten über sexuelle Gewalt und flüchten in den TschadBild: DW

In einem Ende 2023 veröffentlichten Bericht über geschlechtsspezifische Gewalt berichtete das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), dass Frauen und Mädchen im Sudan die Hauptlast der Folgen des dortigen Konflikts zu tragen hatten, einschließlich eines "alarmierenden" Anstiegs der sexualisierten Gewalt. Viele Frauen, die anderswo Asyl suchen, geben an, sie hätten auf ihrer Flucht Belästigungen und Entführungen erlebt, aber auch Vergewaltigungen, sexuelle Übergriffe, sexuelle Ausbeutung und andere Formen der Gewalt, oder sie seien Zeugen davon geworden.

Vermehrte Vergewaltigungen

Abdirahman Ali, der Landesdirektor für den Sudan bei der Hilfsorganisation CARE International, bestätigte den raschen Anstieg der geschlechtsspezifischen Gewalt im Sudan. Die Gewalt gegen Frauen und Mädchen halte vor allem in den Flüchtlingslagern an. Die Situation werde dadurch verschärft, dass es schwierig sei, Nahrungsmittel, sauberes Wasser und eine Gesundheitsversorgung bereitzustellen.

Die größte Herausforderung sei der Transport von Gesundheits- und Nahrungsmitteln für die Binnenvertriebenen über die Grenze vom Tschad in den Sudan. "Es gibt viele Gebiete, zu denen wir aufgrund des anhaltenden Konflikts und der Beschränkungen keinen Zugang haben und in denen wir keine Hilfe leisten können", sagte Ali.

Menschen mit Eselskarren, auf denen ihr Hab und Gut gestapelt ist, gehen über die Grenze in den Tschad
Jeden Tag verlassen tausende Sudanesen West-Darfur und flüchten vor dem Krieg in das Nachbarland TschadBild: Zohra Bensemra/REUTERS

Nach Angaben des IRC sind 90 Prozent der Menschen, die die Grenzen in der Region überqueren, Frauen und Kinder. Eines von fünf Kleinkindern leidet an akuter Unterernährung. Psychologische Unterstützung für Menschen, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, ist ebenfalls schwer zu bekommen, so Ali: "Es gibt zahlreiche Vertreibungen. Gemeinschaften und international vertriebene Personen ziehen von einem Ort zum anderen, was die kontinuierliche Unterstützung dieser Menschen erschwert."

Flucht in den Tschad - und darüber hinaus

Bereits vor Beginn des Konflikts befand sich der Sudan in einer schweren humanitären Krise, verursacht durch die langfristige politische Instabilität und den wirtschaftlichen Druck im Land. Der Krieg hat diese Bedingungen verschärft, so dass nach Angaben des IRC fast 25 Millionen Menschen - mehr als die Hälfte der sudanesischen Bevölkerung - in Not sind. Mehr als 600.000 Menschen haben die Grenze zum Tschad überquert, der bereits vor dem Ausbruch des Konflikts 400.000 sudanesische Flüchtlinge aufgenommen hatte. 

Aus diesem Grund hat das IRC auch wichtige Dienste zur Unterstützung sudanesischer Flüchtlinge in Nachbarländern außerhalb des Tschad, darunter Uganda, Äthiopien und Südsudan, ausgebaut.

Eine afrikanische Frau mit ihrem Baby auf dem Arm erhält medizinische Hilfe in einem Flüchtlingslager
Lager in Nord-Darfur: Viele Babies sterben laut Hilfsorganisationen an Unterernährung Bild: Mohamed Zakaria/REUTERS

Menschenrechte werden ignoriert

Ali fordert, die am Konflikt beteiligten Parteien sollten ihre Verpflichtungen nach dem humanitären Völkerrecht zum Schutz der Zivilbevölkerung und der Infrastruktur einhalten. Um die Menschenrechtslage zu verbessern, müsse auch den Helfenden Schutz gewährt werden. "Die Konfliktparteien müssen sich an den Verhandlungstisch setzen und dafür sorgen, dass diese Krise beendet wird", sagte er. "Sie verursacht unsägliches menschliches Leid für die Menschen im Sudan."

Trotz des Traumas hoffen Hawa und Halima auf eine friedliche Zukunft. Hawa träumt davon, ihr Wirtschaftsstudium abzuschließen, um "als Buchhalterin oder Betriebswirtin" zu arbeiten. Auch Halima möchte ihr altes Leben wieder aufnehmen. "Wenn sich die Situation verbessert, möchte ich studieren", sagt sie. "Ich bin Hebamme - aber ich möchte Ärztin werden."

Mariel Müller, DW Ostafrika-Büroleiterin
Mariel Müller Studioleiterin Ostafrika@_MarielMueller