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Kein Ende der Krise in Tunesien

Sarah Mersch5. November 2013

Der Nationale Dialog, der Tunesien aus der Krise führen sollte, ist gescheitert. Regierung und Opposition konnten sich nicht auf einen Premierminister einigen - und schieben sich gegenseitig die Schuld zu.

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Foto: EPA/MOHAMED MESSARA
Bild: picture-alliance/dpa

Müde und sichtlich verärgert traten die Verhandlungsführer am Montag (04.10.2013) gegen Mitternacht vor die Presse, um zu verkünden, was die Tunesier schon ahnten, nachdem die Verhandlungen mehrfach vertagt worden waren: Der Nationale Dialog ist auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. „Wenn er endgültig scheitern sollte, dann wird das schwerwiegende Konsequenzen haben”, sagte Gewerkschaftsführer Houcine Abassi. Das Vermittlerquartett unter Führung des starken Gewerkschaftsverbands UGTT sei allerdings weiterhin davon überzeugt, dass nur der Dialog eine Lösung der verfahrenen Situationen bringen könne. „Deshalb müssen alle Beteiligten das Wohl des Landes vor alle anderen Interessen stellen”, mahnte Abassi.

Die Ermordung des oppositionellen Abgeordneten Mohamed Brahmi Ende Juli hatte zahlreiche Proteste gegen die Regierung ausgelöst und das Land politisch quasi zum Stillstand gebracht. Die Ernennung eines neuen, überparteilichen Premierministers an der Spitze einer unabhängigen Expertenregierung sollte der erste wichtige Schritt sein, um Tunesien aus dieser schweren Krise und schließlich zu Neuwahlen zu führen. Am Ende lagen noch zwei Kandidaten im Rennen: der 88-jährige Ahmed Mestiri, der bereits vor der Unabhängigkeit des Landes 1956 ein Regierungsamt innehatte, und der 79 Jahre alte Mohamed Ennaceur, Finanzminister in der ersten Übergangsregierung nach dem Umsturz im Januar 2011.

Tunisian opposition activists shout slogans during a demonstration in Tunis' central Habib Bourguiba Avenue on October 23, 2013 demanding the resignation of Tunisia's Islamist-led government, ahead of a national dialogue aimed at ending months of political deadlock. The Habib Bourguiba Avenue was the epicentre of the January 2011 revolution that ousted former dictator Zine El Abidine Ben Ali. AFP PHOTO/ FETHI BELAID (Photo credit should read FETHI BELAID/AFP/Getty Images)
Frust und Enttäuschung: Proteste gegen die Regierung in Tunis im OktoberBild: AFP/Getty Images

Aus der Tür raus, durchs Fenster wieder rein

Mestiri, Favorit der stärksten Regierungspartei Ennahda, wurde von der Mehrheit der Parteien als zu alt abgelehnt. „Wir brauchen einen Premierminister, der in der Lage ist, bis zu 16 Stunden am Tag zu arbeiten“, so der linke Politiker Hamma Hammami. Ennahda habe sich allerdings geweigert, über andere Kandidaten zu diskutieren, und zeige kein ernsthaftes Interesse, die Macht abzugeben. „Ennahda verlässt die Regierung durch die Tür, um durchs Fenster wieder hereinzuklettern.“

Der Ennahda-Vorsitzende Rached Ghannouchi warf der Opposition im Gegenzug vor, keine tragfähigen Argumente gegen Mestiri vorweisen zu können. „Vielleicht suchen sie jemanden, der weniger unabhängig ist. Denn Ahmed Mestiri ist es - und wir wollen die Übergangszeit nur in unabhängige Hände geben.“ Der Vorsitzende der größten islamistischen Partei zeigte sich dennoch optimistisch, dass der Dialog bald wieder aufgenommen werden könnte.

Ambitionierter Fahrplan aus der Krise

Drei Monate und endlose Verhandlungen hatte es gebraucht, bis sich die verschiedenen Parteien überhaupt auf den Dialog eingelassen hatten. Innerhalb von vier Wochen, so der ambitionierte Zeitplan, sollte nicht nur die Regierung ihr Amt niederlegen, sondern auch die Verfassung fertig gestellt, ein Wahlgesetz erlassen und ein Termin für Neuwahlen bestimmt werden. Doch auch in der Verfassungsversammlung kam es am Montag zu einem Eklat. Rund fünfzig Abgeordnete der Opposition verließen eine Abstimmung, um gegen eine Änderung der internen Verfahrensregeln des Parlaments zu protestieren. Diese räumt der Regierungsmehrheit weit größere Freiheiten ein als bisher: Einige Entscheidungen, für die bisher eine Zweidrittelmehrheit benötigt wurde, können jetzt mit einer einfachen Mehrheit getroffen werden.

Der Beginn des Nationaler Dialogs Anfang Oktober in Tunis. (Foto: dpa)
Noch voller Hoffnung: Der Beginn des Nationalen Dialogs Anfang OktoberBild: picture alliance/ZUMA Press

Die Opposition wertet dies als einen Putsch unter dem Deckmantel der Demokratie. „Das ist eine Schande für den sogenannten demokratischen Übergang“, so die Abgeordnete Selma Mabrouk. „Es ist traurig zu sehen, was in unserem Land passiert, wo der Terrorismus beinahe normal wird, von den wirtschaftlichen Problemen ganz zu schweigen.“

Trumpf im Ärmel: Generalstreik

Tunesien sieht sich schweren Wirtschafts- und Sicherheitsproblemen gegenüber. Immer wieder haben Angriffe von mutmaßlich islamistischen Extremisten auf Nationalgarde und Armee für Tote und Verletzte gesorgt, zuletzt wurden in den Ferienorten Sousse und Monastir zwei Anschläge vereitelt. Diese Anschläge, so werten es Beobachter aus allen politischen Lagern, dienen vor allem dazu, den politischen Prozess zu destabilisieren. Wegen der sich verschlechternden Sicherheitslage gehen auch Investitionen aus dem Ausland zurück, die tunesische Wirtschaft leidet unter steigenden Arbeitslosenzahlen und schrumpfenden Devisenreserven.

Wie in diesem angespannten Klima eine einvernehmliche politische Lösung aussehen kann, ist völlig offen. Beinahe gebetsmühlenartig wiederholt der Gewerkschaftsvorsitzende Abassi, nur der Dialog könne zu einer friedlichen Lösung führen. Hinter vorgehaltener Hand fordern jedoch nicht wenige Oppositionelle, die Gewerkschaft solle endlich ihren letzten Trumpf ausspielen und einen landesweiten Generalstreik ausrufen, um der Regierungskoalition ihre Grenzen aufzuzeigen.