Vogel: Trotz Unfall zu Olympia
15. April 2021Sie ist Weltmeisterin und Olympiasiegerin im Bahnradsport. Die Königin in ihrer Disziplin. Zwei Olympische Spiele hat sie mitgemacht, mitgefeiert. Die Spiele in Tokio sollten ihre nächsten sein. Vier Jahre hartes Training für diesen einen einzigen Tag, das dritte Gold im Visier - Kristina Vogel steckte mitten in den Vorbereitungen, als sie im Sommer 2018 einen schweren Trainingsunfall erlitt. Aus, vorbei.
"Ich darf jetzt nicht heulen wie ein Mädchen!" Das war das erste, was sie dachte, als sie zusammengerollt am Boden lag und schnell wusste: Ich werde nicht mehr laufen können. Kristina Vogel ist seitdem querschnittsgelähmt.
"Immer noch ich - nur anders"
Wenn sie heute über ihr Leben im Rollstuhl redet, klingt es wie das Normalste von der Welt: "Es ist so und Punkt." Vogel hadert nicht und fragt nicht nach dem "Warum". Sie habe gezeigt, dass das Leben hart zuschlagen könne, sagt die 30-Jährige. "Aber am Ende ist es, was wir daraus machen. Es ist meine Entscheidung, ob ich froh bin. Ich will raus gehen, Spaß haben, mein Leben leben." Nur eben jetzt auf Rollen und nicht mehr auf ihren Füßen.
Der Leistungssport habe ihr sicher dabei geholfen, jeden Tag über ihre Grenzen zu gehen, sich in ihr Leben zurück zu kämpfen. "Es stand 50:50, ob ich das überhaupt überlebe." Und: "Manchmal ist ein Unfall auch ein Job, den man einfach machen muss." Kristina Vogel macht ihn grandios, ohne zu jammern.
Ein Thema allerdings bringt sie schnell aus der Fassung: "Wenn die Welt da draußen nicht nett ist für alle, sondern nur für eine Gruppe, dann macht mich das sauer." Wenn Denkmalschutz zum Beispiel vor Barrierefreiheit geht, erklärt sie. Inklusion sei noch nicht überall angekommen. Auch deshalb sitze sie im Erfurter Stadtrat.
Bahnradsport - "der geilste Sport der Welt"
Profisport ist immer Sport auf Zeit. Ihre Zeit lief schneller ab, als geplant. Eine Karriere im Behindertenleistungssport kam für Kristina Vogel nie in Frage. Ja, sie habe mal im Kanu gesessen und sich im Bogenschießen ausprobiert. Aber alles nur aus Spaß. Ihre Liebe gehört dem Bahnradsport, heute als Bundespolizistin, die die Spitzensport-Fördergruppe trainiert. Noch immer funkeln ihre Augen, wenn sie über den "geilsten Sport der Welt" spricht.
"Es ist wie Achterbahnfahren, wenn man mit 60, 70, 80 Sachen durch die Kurve schmettert", sagt sie euphorisch und freut sich dabei wie ein Kind. Diese Euphorie ist ansteckend. Sie steckt auch die an, die nicht für den Bahnradsport brennen. Genau deshalb ist Kristina Vogel als Kommentatorin und Expertin die beste Wahl, die das ZDF für die Olympischen Spiele 2021 in Tokio treffen konnte.
"Olympia - es glitzert überall"
Dass sie auf diese Weise an den Sommerspielen teilnehmen darf, macht Kristina Vogel überglücklich. "Für mich ist Olympia wie ein Märchen, es glitzert überall." In diesem Jahr wird sie dieses Märchen aus einer anderen Perspektive erleben - nicht als weltbeste Top-Favoritin auf der Bahn und auch nicht als größte Konkurrentin der anderen Weltklasse-Athletinnen. Feuer und Flamme wird sie hinter dem Mikrofon sitzen und den Zuschauern ihren Sport erklären.
"Natürlich muss ich neutral sein. Das gehört dazu als Journalistin. Aber ich glaube, man verzeiht mir, wenn ich dann doch ein bisschen durch die deutsche Brille gucke", sagt sie. Die Zuschauer werden ihr das nicht nur verzeihen, sie werden es mit Sicherheit von ihr erwarten - diese Emotionalität, die sie manchmal jubelnd herausschreit, mit der sie alle mitreißt.
Deutscher Frauenvierer auf Medaillenkurs
Dabei ist sich die Erfurterin sicher: "Alle deutschen Frauen haben Chancen, Medaillen in Tokio zu gewinnen. Und sie werden gewinnen. Die Frage ist nur, wie viele und welche Farbe." Allen voran ihre "Nachfolgerinnen", wie sie sagt, die Sprinterinnen Lea Friedrich, Emma Hinze und Pauline Grabosch. "Die können alle vorne angreifen."
Im Blick hat Vogel aber auch den deutschen Frauen-Vierer, der im Winter 2020 mit Lisa Klein, Lisa Brennauer, Franziska Brauße und Gudrun Stock Bronze bei den Bahnrad-Weltmeisterschaften in Berlin holte. Das war nicht nur eine kleine Sensation, denn es war die erste deutsche Medaille in der Mannschaftsverfolgung seit zwölf Jahren. Es war auch wie ein Versprechen auf mehr bei den Olympischen Spielen, die wegen der Corona-Pandemie dann auf diesen Sommer verschoben wurden.
"Die haben sich alle super entwickelt in den vergangenen Jahren. Es macht so viel Spaß, ihnen zuzugucken!" Dabei fiebert Kristina Vogel mit einer Radsportlerin besonders mit: "Gudrun ist wie ich Bundespolizistin. Da kann man die Daumen noch ein bisschen mehr drücken."
Strikte Corona-Bestimmungen
So unbändig ihre Freude auf die Olympischen Spiele und ihre neue Herausforderung als Kommentatorin ist - ein bisschen trüber sind die Aussichten auf das "Märchen" dann doch. Ohne Publikum und mit all den strikten Corona-Bestimmungen wird es weniger "glitzern" als bei den Spielen, die Kristina Vogel 2012 in London und 2016 in Rio als aktive Sportlerin erlebt hat.
Nach Tokio wartet dann die nächste Herausforderung auf Kristina Vogel. Sie möchte sich für ein Studium zur Diplomtrainerin bewerben. "Ein bisschen klüger werden ist auch nicht blöd", sagt sie augenzwinkernd. Dabei wirkt sie schon jetzt angekommen und zufrieden. Kristina Vogel ist eine Kämpferin - mehr denn je. Eine, die mit einer Selbstverständlichkeit ihr neues Leben angeht.