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Kritik an Merkel im Fall Böhmermann

15. April 2016

Gegen den ZDF-Satiriker kann jetzt wegen Beleidigung des türkischen Präsidenten ermittelt werden. Kanzlerin Merkel machte den Weg dafür frei. Die Türkische Gemeinde in Deutschland hätte ihr eher davon abgeraten.

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Deutschland Angela Merkel äußert sich zum Fall Jan Böhmermann (Foto: picture alliance)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Schreiber

"Sie stand zwischen Koalitions- und Staatskrise und hat sich für die Koalitionskrise entschieden", sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, zur Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er bedauere, dass sich eine emotionale Diskussion über Meinungsfreiheit an den vulgären Sprüchen Böhmermanns entzündet habe. Sofuoglu, der das Gedicht für "deplatziert und beleidigend" hält, verwies auch darauf, dass der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan wegen des Gedichts Böhmermanns über ihn auch persönlich Klage wegen Beleidigung eingereicht habe. Bei diesem Verfahren hätte man es belassen sollen.

Die Türkei hatte wegen des Schmähgedichts von Jan Böhmermann förmlich eine Strafverfolgung verlangt. Böhmermann hatte Ende März in seiner satirischen ZDF-Show "Neo Magazin Royale" ein Gedicht auf Erdogan vorgetragen, das zahlreiche Formulierungen enthält, die unter die Gürtellinie zielen. Der Moderator wollte nach eigenen Angaben damit verdeutlichen, was Satire in Deutschland dürfe und was nicht.

Merkel verweist auf den Rechtsstaat

Zur Begründung ihrer Entscheidung sagte die Kanzlerin: "Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen." In Deutschland solle nicht die Regierung, sondern die Justiz "das letzte Wort" haben.

Präsident Erdogan und Moderator Böhmermann (Fotos: EPA)
Präsident Erdogan (l.) und Moderator BöhmermannBild: picture-alliance/dpa/R. Ghement

Merkel betonte in ihrer Erklärung im Kanzleramt auch, dass Deutschland der Türkei eng und freundschaftlich verbunden sei. Dabei verwies die CDU-Chefin etwa auf die vielen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland, wirtschaftliche Verflechtungen und die Zusammenarbeit in der NATO.

SPD-Minister stimmten dagegen

In dieser Angelegenheit habe es "unterschiedliche Auffassungen" zwischen den Koalitionspartnern Union und Sozialdemokraten gegeben, räumte Merkel ein. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte, die an den Beratungen beteiligten sozialdemokratischen Minister hätten dagegen gestimmt. In solchen Fällen unterschiedlicher Auffassungen treffe nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung die Kanzlerin eine Entscheidung, so Oppermann. Eine Krise der schwarz-roten Bundesregierung bedeute dies nicht.

Kurz nach der Kanzlerin hatten die SPD-Minister Frank-Walter Steinmeier (Außen) und Heiko Maas (Justiz) ihre abweichende Position zum Fall Böhmermann erklärt: "Wir sind der Auffassung, dass die Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß § 104a StGB nicht hätte erteilt werden sollen. Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit sind höchste Schutzgüter unserer Verfassung."

Heftige Kritik aus der Opposition

Grüne und Linke kritisieren einhellig und in aller Schärfe die Regierungsentscheidung in der Causa Böhmermann. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte, Merkel sei vor dem türkischen Staatspräsidenten "eingeknickt". Die Kanzlerin müsse nun mit dem Vorwurf leben, dass ihr der Bund mit der Türkei wichtiger sei als die Verteidigung der Pressefreiheit. Linkenpolitiker Jan Korte sagte, politische Verantwortung wälze man nicht auf Gerichte ab. FDP-Chef Christian Lindner meinte, Merkel hätte politisch anders entscheiden müssen, um gegenüber "der Türkei unser Verständnis von Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit zu vertreten". Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sieht in der Erklärung der Kanzlerin das falsche Signal an die Adresse der türkischen Regierung.

Paragraf 103 soll weg

Als weitere Konsequenz der Affäre will die Bundesregierung nach den Worten Merkels den Paragraf 103 des Strafgesetzbuches abschaffen. Der Paragraf sei "für die Zukunft entbehrlich", sagte Merkel. Noch in dieser Wahlperiode werde ein entsprechender Gesetzentwurf verabschiedet, der 2018 in Kraft treten solle.

Der Paragraf sieht für die Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes bis zu drei Jahren Haft oder eine Geldstrafe vor. Ist Verleumdung im Spiel, drohen sogar bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug. Die türkische Regierung hatte unter Berufung auf diesen Paragrafen ein Strafverfahren gegen Böhmermann gefordert, weil dieser in einem Schmähgedicht Erdogan beleidigt habe. Dem Gesetz zufolge muss die Bundesregierung in einem solchen Fall eine Ermächtigung erteilen, damit die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren einleiten kann.

Erdogan hat auch nach Paragraf 185 des Strafgesetzbuches auch als Privatmann eine Klage wegen Beleidigung gegen Böhmermann eingereicht. Dem muss die Staatsanwaltschaft Mainz nachgehen. Diese Zivilklage wäre auch weitergelaufen, wenn sich die Bundesregierung anders entschieden hätte.

wl/rb (afp, dpa, rtr)